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Paul Boldt
(1885-1921)
FRIEDRICHSTRASSENKROKI
3 UHR 20 NACHTS
Die Friedrichstraße trägt auf Stein
Die blassen Gewässer des Lichtes
Die Dirnen umstehn mit Hirschgeweihn
Die Circe meines Gesichtes.
Ich schaue: – Der Träume Phosphor rinnt
In zwei, vier Menschenaugen neu.
Wie eine Katze springt, gefleckt, der Wind
Zwischen des Asphalts Lichterstreu
Und trägt den fetten, weißen Rauch
Im Maul den jungen Winden ins Nest.
Er faßt die Dirnen an den Bauch
Und klemmt die dünnen Röcke fest.
– Da sind Gesichter, lachen nett,
Daß alle Zähne blecken müssen;
Die Louis zeigen ihr Skelett,
Louise läßt mich ihres küssen.
Paul Boldt poetry
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photo Anton K. 2009
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Paul Boldt
(1885-1921)
MÄDCHENNACHT
Der Mond ist warm, die Nacht ein Alkohol,
Der rasch erglühend mein Gehirn betrat,
Und deine Nacktheit weht wie der Passat
Trocknend ins Mark.
Du hast ein weißes Fleischkleid angezogen.
Mich hungert so – ich küsse deine Lippen.
Ich reiße dir die Brüste von den Rippen,
Wenn du nicht geil bist!
– Küsse sind Funken, elektrisches Lechzen
Kupferner Lippen, und die Körper knacken!
Mit einem Sprunge sitzt mein Kuß im Nacken
Und frißt dein Bäumen und dein erstes Ächzen.
Und als ich dir die weißen Knie und,
Dein Herz verlangend, allen Körper küßte,
Geriet mein Schröpfkopf unter deine Brüste;
Da drängte sich das Herz an meinen Mund.
GUTEN TAG – HELLE EVA!
Ich wollte mit dir jungem Weibe leben
Gern wie der Sturm auf einem hellen Meer,
Daß deine Hände sich wie Möwen heben.
Wie Strudel leuchten deine Brüste sehr.
Dein Fleisch ist Schnee, und schneereich bist du wie
Russische Winter. Mondrot leuchtet, blond,
Dein Haarkorb an des Nackens Horizont –
Du nackend Weib, du weiße Therapie!
Lange behielt ich deine Witterung
Und jagte hitzig hinter Dirnenrudeln,
Lustkrank, von Qual beweht. Doch du bliebst jung.
Auf deinen Rippen kreisen weiße Strudel;
Du bist ein Weib geworden – puh – fruchtbar,
Du blanker Bauch voll Blut und krautigem Haar.
Paul Boldt poetry
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Paul Boldt
(1885-1921)
TIERGARTEN
Birken und Linden legen am Kanal
Unausgeruhtes sanft in seinen Spiegel.
Ins Nachtgewölbe rutscht der Mond, ein Igel,
Der Sterne jagt und frißt den Himmel kahl.
Mädchen sind da, und wir sind sehr vergnügt.
Ich schmeiße nach dem dicken Mond mit Steinen;
Die Betty küßt mich, und er soll nicht scheinen,
Weil Bella schweigt und naserümpfend rügt.
Die Sommerstädte liegen um den Park.
Es wird sehr hübsch! Der Süden wandert ein!
Die Sonne wächst! Wie nackte Männer stark
Schreiten die Tage, Frühjahr in den Hüften.
Die schwarzen Linden kommen überein,
Morgen zu grünen in den süßen Lüften!
Paul Boldt poetry
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Georg Trakl
(1887-1914)
An die Verstummten
O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken.
Hure, die in eisigen Schauern ein totes Kindlein gebärt.
Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne des Besessenen,
Purpurne Seuche, Hunger, der grüne Augen zerbricht.
O, das gräßliche Lachen des Golds.
Aber stille blutet in dunkler Höhle stummere Menschheit,
Fügt aus harten Metallen das erlösende Haupt.
Georg Trakl poetry
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Paul Boldt
(1885-1921)
DER DICHTER
Die Antlitzlast auf seinen Schädelknochen,
Wie ein Museum, und die Schmerzen hängen
In großen Augen, blicklos und gebrochen,
Und in dem Mund, verzerrt von den Gesängen.
Es kommt heraus, Dunkles des Blutes, quillt.
Er wird wahnsinnig aus Liebhaberei.
Sein Mund geht lüstern auf. Er lächelt wild.
Hinter die Zähne bergend seinen Schrei.
Paul Boldt poetry
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Paul Boldt
(1885-1921)
IMPRESSION DU SOIR
Des Abends schwarze Wolkenvögel flogen
Im Osten auf vom Fluß der Horizonte.
Gärten vertropft in Nacht, die, als es sonnte,
Wie See grünten und den Wind einsogen.
Einsame Pappeln pressen ihre Schreie
Angst vor den Stürmen in die blonde Stille.
Schon saugen schwarze Munde Atem. — Schrille
Fabrikenpfiffe. Menschen ziehn ins Freie.
Ein rotes Mohnfeld mit den schwarzen Köpfen,
Ragen die Schlote, einsam, krank und kahl.
Die Wolkenvögel, Eiter an den Kröpfen,
Wie Pelikane flattern sie zum Mahl.
Und als die Horizonte Dunkel schöpfen,
Wirft sich der Blitz heraus, der blanke Aal.
DER SCHNELLZUG
Es sprang am Walde auf in panischem Schrecke,
Die gelben Augen in die Nacht geschlagen. —
Die Weiche lärmt vom Hammerschlag der Wagen
Voll blanken Lärms, indes sie fern schon jagen
Im blinden Walde lauert an der Strecke
Die Kurve wach. Es schwanken die Verdecke.
Wie Schneesturm rennt der D-Zug durch die Ecke,
Und tänzelnd wiegen sich die schweren Wagen.
Der Nebel liegt, ein Lava, auf den Städten
Und färbt den Herbsttag grün. Auf weiter Reise
Wandert der Zug entlang den Kupferdrähten.
Der Führer fühlt den Schlag der Triebradkreise
Hinter dem Sternenkopfe des Kometen,
Der zischend hinfällt über das Geleise.
DAS GESPENST
Wie weiß der Sommer ist! Wie Menschenlachen,
Das alle Tage in der Stadt verschwenden.
Häuserspaliere wachsen hoch zu Wänden
Und Wolkenfelsen, die mich kleiner machen.
In tausend Straßen liege ich begraben.
Ich folge dir stets ohne mich zu wenden.
O hielte ich dein Antlitz in den Händen,
Das meine kranke Augen vor sich haben.
Ich küßte es. Es küßte mich im Bette —:
— Versprich, daß du mich morgen nicht mehr kennst!
— Bist du nachts fleischern und ein Taggespenst?
— Du locktest es ins Netz deiner Sonette.
— Junger Polyp, dein Mund ist eine Klette.
— Er wird dich beißen, wenn du ihn so nennst.
Paul Boldt poetry
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photo anton k.
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Georg Trakl
(1887-1914)
Kleines Konzert
Ein Rot, das traumhaft dich erschüttert –
Durch deine Hände scheint die Sonne.
Du fühlst dein Herz verrückt vor Wonne
Sich still zu einer Tat bereiten.
In Mittag strömen gelbe Felder.
Kaum hörst du noch der Grillen Singen,
Der Mäher hartes Sensenschwingen.
Einfältig schweigen goldene Wälder.
Im grünen Tempel glüht Verwesung.
Die Fische stehen still. Gottes Odem
Weckt sacht ein Saitenspiel im Brodem.
Aussätzigen winkt die Flut Genesung.
Geist Dädals schwebt in blauen Schatten,
Ein Duft von Milch in Haselzweigen.
Man hört noch lang den Lehrer geigen,
Im leeren Hof den Schrei der Ratten.
Im Krug an scheußlichen Tapeten
Blühn kühlere Violenfarben.
Im Hader dunkle Stimmen starben,
Narziß im Endakkord von Flöten.
Georg Trakl poetry
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Paul Boldt
(1885-1921)
PROSERPINA
Einsamer Pluto trage ich im Blute
Proserpina, nackend, mit blonden Haaren.
Unauslöschbar. Ich will mich mit ihr paaren,
Die ich in allem hellen Weib vermute.
Ich bin von ihren Armen lichtgefleckt
Im Rücken! Ihre Knie sind nervös,
Die Schenkel weiß, fleischsträhnig, ein Erlös
Des weißen Tages, der die Erde deckt.
In ihrem Haar bleibt etwas vom Verwehten
Des warmen Bluts. Ich liebe den Geruch!
Und nur die Zähne haben zuviel Fades,
Wie Schulmädchen, sooft sie in den Bruch,
Den Brunnen ihres Frauenmundes treten,
Der meine Brünste tränkt – Herden des Hades.
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Georg Trakl
(1887-1914)
Die Ratten
Im Hof scheint weiß der herbstliche Mond.
Vom Dachrand fallen phantastische Schatten.
Ein Schweigen in leeren Fenstern wohnt;
Da tauchen leise herauf die Ratten.
Und huschen pfeifend hier und dort
Und ein gräulicher Dunsthauch wittert
Ihnen nach aus dem Abort,
Den geisterhaft der Mondschein durchzittert.
Und sie keifen vor Gier wie toll
Und erfüllen Haus und Scheunen,
Die von Korn und Früchten voll.
Eisige Winde im Dunkel greinen.
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Paul Boldt
(1885-1921)
FRIEDRICHSTRASSENDIRNEN
Sie liegen immer in den Nebengassen,
Wie Fischerschuten gleich und gleich getakelt,
Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt,
Indes sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.
Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.
Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug’ spürt Tortur,
Da schießt ein Grünling vor, hängt an der Schnur,
Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,
Gespannt von Wollust wie ein Projektil!
Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,
Gleich groben Küchenfrauen ohne viel
Von Sentiment. Dann rüsten sie schon wieder
Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide
Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.
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Paul Boldt
(1885-1921)
DIE LIEBESFRAU
– Nackt. Ich bin es nicht gewohnt.
Du wirst so groß und so weiß,
Geliebte. Glitzernd wie Mond,
Wie der Mond im Mai.
Du bist zweibrüstig,
Behaart und muskelblank.
So hüftenrüstig
Und tänzerinnenschwank.
Gib dich her! Draußen fallen
Die Regen. Die Fenster sind leer,
Verbergen uns … – allen, allen! –
Wieviel wiegt dein Haar? Es ist sehr schwer.
– Wo sind deine Küsse? Meine Kehle ist gegallt,
Küsse du mich mit deinen Lippen!
– Frierst du? – – – Du bist so kalt
Und tot in deinen hellen Rippen.
ERWACHSENE MÄDCHEN
Wer weiß seit Fragonard noch, was es heiße,
Zwei stracke Beine haben in dem Kleide;
Roben gefüllt von Fleisch, als ob die Seide
In jeder Falte mit dem Körper kreiße.
Aus dem Korsage fahren eure Hüften
Wie Bügeleisen in den Stoff der Röcke,
Darauf wie Bienen auf die Bienenstöcke
Unsere Blicke kriechen aus den Lüften.
Ihr jugendlichen Sonnen! Fleischern Licht!
Wir haben den Ehrgeiz der Allegorien
Und hübschen Dinge im Gedicht.
Ich will mit eurer Bettwärme Blumen ziehn!
Und einen kleinen Mond aus dem Urin,
Der sternenhell aus eurem Blute bricht!
DIE SCHLAFENDE ERNA
Auf einer Ottomane aus Mohär
Liegt sie in Seidenröcken, eine Truhe
Voll Nacktheit, und ich denke voll Unruhe
An dein Geheimstes – schönes Sekretär.
Die Frauen tuen Wundervolles in die Seide.
Am Knie beginnt es. Ich will es auspellen,
Wenn Küsse summen nach hautsüßen Stellen
Im Bett, daß wir nicht schlafen können beide.
Du großes Mädchen, die noch kleinen Brüste
Schmücken dich mir. Auf den geheimen Schmuck
Hast du die linke weiße Hand gelegt;
Ich dachte: Soll die eine, die sie trägt –
Die schwarze Blume welken von dem Druck?
Und nahm die Hand weg, die ich leise küßte.
SINNLICHKEIT
Unter dem Monde liegt des Parks Skelett.
Der Wind schweigt weit. Doch wenn wir Schritte tun,
Beschwatzt der Schnee an deinen Stöckelschuhn
Der winterlichen Sterne Menuett.
Und wir entkleiden uns, seufzend vor Lust,
Und leuchten auf; du stehst mit hübschen Hüften
Und hellen Knien im Schnee, dem sehr verblüfften,
Wie eine schöne Bäuerin robust.
Wir wittern und die Tiere imitierend
Fliehn wir in den Alleen mit frischen Schrein.
Um deine Flanken steigt der Schnee moussierend.
Mein Blut ist fröhlicher als Feuerschein!
So rennen wir exzentrisches Ballett
Zum Pavillon hin durch die Türe ins Bett.
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Georg Trakl
(1887-1914)
Die Raben
Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.
O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören.
Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern.
Georg Trakl poetry
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More in: Department of Ravens & Crows, Trakl, Georg
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