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Heinrich von Kleist
(1777-1811)
Das letzte Lied
Fernab am Horizont, auf Felsenrissen,
Liegt der gewitterschwarze Krieg getürmt;
Die Blitze zucken schon, die Ungewissen,
Der Wandrer sucht das Laubdach, das ihn schirmt;
Und wie ein Strom, geschwellt von Regengüssen,
Aus seines Ufers Bette heulend stürmt,
Kommt das Verderben mit entbundnen Wogen
Auf alles, was besteht, herangezogen.
Der alten Staaten graues Prachtgerüste
Sinkt donnernd ein, von ihm hinweggespült,
Wie auf der Heide Grund ein Wurmgeniste,
Von einem Knaben scharrend weggewühlt;
Und wo das Leben um der Menschen Brüste
In tausend Lichtern jauchzend hat gespielt,
Ist es so lautlos jetzt wie in den Reichen,
Durch die die Wellen des Cocytus schleichen.
Und ein Geschlecht, von düsterm Haar umflogen,
Tritt aus der Nacht, das keinen Namen führt,
Das, wie ein Hirngespinst der Mythologen,
Hervor aus der Erschlagnen Knochen stiert;
Das ist geboren nicht und nicht erzogen
Vom alten, das im deutschen Land regiert:
Das läßt in Tönen, wie der Nord an Strömen,
Wenn er im Schilfrohr seufzet, sich vernehmen.
Und du, o Lied voll unnennbarer Wonnen,
Das das Gefühl so wunderbar erhebt,
Das, einer Himmelsurne wie entronnen,
Zu den entzückten Ohren niederschwebt,
Bei dessen Klang empor ins Reich der Sonnen,
Von allen Banden frei, die Seele strebt:
Dich trifft der Todespfeil; die Parzen winken,
Und stumm ins Grab mußt du daniedersinken.
Ein Götterkind, bekränzt im Jugendreigen,
Wirst du nicht mehr von Land zu Lande ziehn,
Nicht mehr in unsre Tänze niedersteigen,
Nicht hochrot mehr bei unserm Mahl erglühn.
Und nur wo einsam unter Tannenzweigen
Zu Leichensteinen stille Pfade fliehn,
Wird Wanderern, die bei den Toten leben,
Ein Schatten deiner Schön’ entgegenschweben.
Und stärker rauscht der Sänger in die Saiten,
Der Töne ganze Macht lockt er hervor,
Er singt die Lust, fürs Vaterland zu streiten,
Und machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich näher pflanzen sieht, von Tor zu Tor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier tränend aus den Händen.
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Heinrich von Kleist
(1777-1811)
Für Adolfine Henriette Vogel
Mein Jettchen, mein Herzchen, mein Liebes, mein
Täubchen, mein Leben, mein liebes süßes Leben,
mein Lebenslicht, mein Alles, mein Hab und Gut,
meine Schlösser, Äcker, Wiesen und Weinberge, o
Sonne meines Lebens, Sonne, Mond und Sterne, Him-
mel und Erde, meine Vergangenheit und Zukunft,
meine Braut, mein Mädchen, meine liebe Freundin,
mein Innerstes, mein Herzblut, meine Eingeweide,
mein Augenstern, o, Liebste, wie nenn ich Dich?
Mein Goldkind, meine Perle, mein Edelstein, meine
Krone, meine Königin und Kaiserin. Du lieber Lieb-
ling, meines Herzens, mein Höchstes und Teuerstes,
mein Alles und Jedes, mein Weib, meine Hochzeit,
die Taufe meiner Kinder, mein Trauerspiel, mein
Nachruhm. Ach Du bist mein zweites besseres Ich,
meine Tugenden, meine Verdienste, meine Hoffnung,
die Vergebung meiner Sünden, meine Zukunft und
Seligkeit, o, Himmelstöchterchen, mein Gotteskind,
meine Fürsprecherin und Fürbitterin, mein Schutzen-
gel, mein Cherubim und Seraph, wie lieb ich Dich! –
[Berlin, November 1811]
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Heinrich von Kleist
(1777-1811)
Der Engel am Grabe des Herrn
Als still und kalt mit sieben Todeswunden
Der Herr in seinem Grabe lag; das Grab
Als sollt’ es zehn lebend’ge Riesen fesseln,
In eine Felskluft schmetternd eingehauen:
Gewälzet mit der Männer Kraft, verschloß
Ein Sandstein, der Bestechung taub, die Türe;
Rings war des Landvogts Siegel aufgedrückt:
Es hätte der Gedanke selber nicht
Der Höhle unbemerkt entschlüpfen können;
Und gleichwohl noch, als ob zu fürchten sei,
Es könn’ auch der Granitblock sich bekehren,
Ging eine Schar von Hütern auf und ab
Und starrte nach des Siegels Bildern hin.
Da kamen bei des Morgens Strahl,
Des ew’gen Glaubens voll, die drei Marien her,
Zu sehn, ob Jesus noch darinnen sei;
Denn er, versprochen hatt’ er ihnen,
Er werd’ am dritten Tage auferstehn.
Da nun die Fraun, die gläubigen, sich nahten
Der Grabeshöhle: was erblickten sie?
Die Hüter, die das Grab bewachen sollten,
Gestürzt, das Angesicht in Staub,
Wie Tote um den Felsen lagen sie;
Der Stein war weit hinweggewälzt vom Eingang;
Und auf dem Rande saß, das Flügelpaar noch regend,
Ein Engel, wie der Blitz erscheint,
Und sein Gewand so weiß wie junger Schnee.
Da stürzten sie, wie Leichen, selbst getroffen
Zu Boden hin und fühlten sich wie Staub
Und meinten gleich im Glanze zu vergehn;
Doch er, er sprach, der Cherub: »Fürchtet nicht!
Ihr suchet Jesum, den Gekreuzigten –
Der aber ist nicht hier, er ist erstanden;
Kommt her und schaut die öde Stätte an!«
Und fuhr, als sie mit hocherhobnen Händen
Sprachlos die Grabesstätte leer erschaut,
In seiner hehren Milde also fort:
»Geht hin, ihr Fraun, und kündigt es nunmehr
Den Jüngern an, die er sich auserkoren,
Daß sie es allen Erdenvölkern lehren
Und tun also, wie er getan!« – und schwand.
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Heinrich von Kleist
(1777-1811)
Der höhere Friede
Wenn sich auf des Krieges Donnerwagen
Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf,
Menschen, die im Busen Herzen tragen,
Herzen, die der Gott der Liebe schuf:
Denk´ich, können sie doch mir nichts rauben,
Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt,
Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben,
Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt;
Nicht des Ahorns dunkelm Schatten wehren,
Daß er mich im Weizenfeld erquickt,
Und das Lied der Nachtigall nicht stören,
Die den stillen Busen mir entzückt.
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Heinrich von Kleist
(1777-1811)
Jünglingsklage
Winter, so weichst du,
Lieblicher Greis,
Der die Gefühle
Ruhigt zu Eis.
Nun unter Frühlings
Ueppigem Hauch
Schmelzen die Ströme –
Busen, du auch!
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