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Alfons Petzold
(1882-1923)
Das Mädchen
Sieben Jahre stand ihr Warten
mitten im Stöhnen der Maschinen,
mitten im Staube tanzender Spindeln
mußte sie öligen Rädern dienen.
Sieben Jahre blühte ihr Leib,
rein und köstlich im Sumpfe der Gassen
wußte sie aus der Wüste des Tages
blühende, fröhliche Stunden zu fassen.
Stand sie zur Frühe vor der Fabrik,
sah sie die Straße hinauf und hinunter,
ob nicht durch die schwatzende Menge
käme der Liebe grüßendes Wunder.
Wenn sie abends nach Hause ging,
war’s ihr, als müsse ein Tor aufspringen
und ein Jüngling sie jubelnd umfangen,
heimwärts tragen mit Jauchzen und Singen.
Sieben Jahre stand sie so
mitten im Lärm und Qualm der Maschinen,
ging sie durch die Gassen und Straßen,
um der seligsten Hoffnung zu dienen.
Bis eines Tages ein sausendes Rad
sich seines armen Mädchens erbarmte
und mit seinen stählernen Händen
Zärtlich den süßen Körper umarmte.
Einmal lag noch lächelnd ihr Blick
auf dem Schwungrad, dann wurde er trüber
und es flüsterten ihre Lippen
in den wunschlosen Tod hinüber:
Geliebter!
Alfons Petzold poetry
Aus der Sammlung Der Dornbusch
fleursdumal.nl magazine
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Alfons Petzold
(1882-1923)
Abendlied im Kriege
Nun ist der Tag vergangen,
Der Sonne goldnes Rot
Verblaßt auf ihren Wangen,
Als läge sie im Tod.
Der Abend von der Herde
Der Sterne eingekreist,
Beschenkt die weite Erde
Mit seinem frommen Geist.
Die ist so arm geworden
Und trägt so böse Qual,
Seitdem das grause Morden
Braust über Berg und Tal.
Nur Scham kann ihr noch geben
Des Tages blanker Schein,
Drum hüllt sie gern ihr Leben
In weiches Dunkel ein.
Wohl geht auch jetzt das Grausen
Herum im Dorf und Stadt:
Es liegt so mancher draußen,
Der keinen Schlaf mehr hat. –
Und viele Frauen lauschen,
Indes die Lampe singt,
Ob nicht ein Mantelrauschen
Den Fernen näher bringt. –
Doch der steht mit den andern,
Verderben in der Faust,
Sieht tausend Sterne wandern
Granatensturmumbraust
Und nicht den Abend kommen
Mit seinem stillen Geist,
Der allen wahrhaft Frommen
Den Weg des Friedens weist.
Alfons Petzold poetry
Aus der Sammlung Der stählerne Schrei
kempis.nl poetry magazine
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Alfons Petzold
(1882-1923)
An einen Dichter
Tausend Jahre sind nicht viel,
nur ein Schritt ins Land der Ferne,
kreisendes Minutenspiel
für die Sonne und die Sterne.
Weiser, der ins Dunkel sinnt
um die Gottheit zu erfassen,
deine Stunde läuft wie Wind
durch die Stille fremder Gassen.
Aber mitten in dem Braus
deiner Tage sollst du sinnen.
Doppelt wird dann in dein Haus
wundersame Weisheit rinnen.
In der Bogenlampen Licht
und der Räder wildem Drehen
wird dir wie ein Psalmgedicht
Deine Ewigkeit erstehen.
Alfons Petzold poetry
Aus der Sammlung Der Dornbusch
kempis.nl poetry magazine
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Alfons Petzold
(1882-1923)
In der Streikversammlung
Rasende Gesichte
seh’ ich rings im Saal und warte drauf,
daß sich Qual und Zorn zu einer Tat verdichte.
Fäuste brechen
aus der schwarzen Wolke Not hervor,
einer droht mit Niederhau’n und Stechen.
Nur der oben
auf dem rotumhängten Podium
ist von kühler Ruhe ganz umwoben.
Und sein Wille,
der als Wort von seinem Munde strömt,
wandelt Blitz und Sturm in schwere Stille.
Alfons Petzold poetry
Aus der Sammlung Der Dornbusch
kempis.nl poetry magazine
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