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Letzte Lieder
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Und leise, traumhaft wieder
Die Harfe mir erklang,
Es sind die letzten Lieder,
Die ich hienieden sang.
Es ist von meinem Herzen
Gelöst der letzte Hauch
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Alfred Teniers.
1.
Schwarz und still in meinem Hirn,
Schwarz und still in meiner Stube,
Nur der Pendel meiner Uhr
Hüpfet wie ein munt’rer Bube.
Plötzlich zuckt auf Deinem Bild,
Farblos, wie auf einem Grabe –
Ein verirrter Mondenstrahl,
Mahnt, daß ich noch Thränen habe.
2.
Ist es Friede, ist es Glück,
Was durch meine Träume zieht,
Unsichtbar, wie Blumenduft,
Leise, wie ein Kindeslied?
Kehrt die Jugend mir zurück,
Jene Sehnsucht, die mich mied,
Seit des Lebens kalte Luft
Mich und meine Seele schied?
3.
Durch die dicht verhängten Fenster
Dringt das dumpfe Wagenrollen,
Und verscheucht die Nachtgespenster,
Die im Traum mir nahen wollen.
Aber rauschend durch mein Zimmer
Wogt ein Meer von wirren Tönen,
Und aus all’ dem Schmerzgewimmer
Hör’ ich meine Seele stöhnen!
Hör’ ich meine Seele weinen –
Nicht um dieses Leibes Sterben –
Doch es bangt ihr vor dem kleinen,
Müden, einsamen Verderben.
4.
Über meinem Lager hängt,
Welk, bestaubt und abgestorben,
Ein beflorter Lorbeerkranz
Neben Myrthen, längst verdorben.
Und in meinem Fiebertraum
Schaute ich sie wieder blühen –
Und mich selber jugendfreudig
Unter ihrem Duft erglühen.
Aber ach, das Fieber schwand.
Welk, so wie mein eig’nes Leben,
Schaue ich die Kränze dort
Nur an dünnen Fäden schweben.
5.
Der alte Kampf ist ausgekämpft;
Weit hinter mir liegt jede Qual,
70Es fiel in meines Lebens Frost
Der erste warme Sonnenstrahl.
Weit hinter mir liegt Groll und Leid
Durch milde Thränen aufgethaut.
Mein Auge hat zum ersten Mal
Die Wahrheit und das Glück geschaut.
6.
Leg’ auf mein Haupt, so fieberheiß,
Die kühle weiche Hand,
Mein brennend Antlitz wende leis’
Und sachte hin zur Wand;
Es ist so schwer mein Augenlied
Daß ich’s nicht heben kann,
Und meine Lippe dürr’ und müd’
O schaue mich nicht an! –
Wend’ sachte mein Gesicht zur Wand;
Kann ich Dich auch nicht seh’n,
Fühl’ ich doch Deine weiche Hand
Und Deines Athem’s Weh’n.
7.
Rasch durch das dunkle Zimmer huscht
Mein Vogel, traurig singend,
Er will hinaus in’s Sonnenlicht,
Er zwitschert schüchtern-dringend.
Flieg’ in die kalte fremde Welt,
Flieg’ über Thal und Hügel,
Du kleiner Vogel, hast ja heut’
Noch ungebroch’ne Flügel. –
8.
Es pfeift der Wind sein frostig Lied,
Und eiserstarrte Tropfen
Wirft klirrend an die Scheiben er,
Die Kranken wach zu klopfen.
Die alte Frau an meinem Bett
Nickt müd’, in Schlaf versunken,
Die Kohlen im Kamine sprüh’n
Bei jedem Windstoß Funken.
Aufhorchend knurrt der kleine Hund,
Um ächzend fortzuträumen,
Das Lampenlicht spielt flackernd roth
Mit der Tapete Bäumen.
Der nackten Göttin weißes Bild
Lacht höhnisch auf mich nieder.
Es pfeift der Wind – Gedanken zieh’n. –
Ich find’ den Schlaf nicht wieder.
9.
Leg’ Du mich in den Sarg hinein,
Schließ Du den Deckel zu,
Und hinter meinem Sarg allein,
Geh’ Du – Niemand als Du.
Den ich geliebt, und Leid’s gethan
Warst Du – nur Du allein….
Komm’ nie zu meinem Grabe Mann,
Ich will vergessen sein.
Ada Christen
(1839 – 1901)
Letzte Lieder
1870
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Asche
1.
Wie sie lodern, wie sie beben,
Still verglimmen und verweh’n –
Und ein Stück von meinem Leben
Seh’ in Asche ich vergeh’n.
Weiche, goldig-blonde Locken,
Manche Blume, die da schlief,
Es zerstirbt in Aschenflocken
Mancher alte Liebesbrief.
Welches Glück die Worte brachten,
Diese Phrasen, – Gott erbarm’!
Wie sie heiß den Kopf einst machten –
Heute wird die Hand kaum warm!
2.
Im Kamin lag grau die Asche,
Und ich saß, nachdenklich schürend,
In dem letzten tauben Reste
Nach verborg’nen Gluthen spürend.
Und es flammte aus der Asche,
Wieder helle Funken sprühend,
Eine halbverglomm’ne Kohle
Und zersplitterte verglühend.
Und es flüstert in der Asche:
Warum tödtest Du, berührend
Was noch aufflammt, Dir zur Leuchte,
Dich aus Nacht und Kälte führend? ….
3.
Wilde, ungeberd’ge Flammen,
Die sich suchen und verstecken,
Wie sie zischeln, wie sie schmeicheln
Und sich schlängeln und sich necken;
Wie sie prasseln, knistern, jubeln,
Sich verfolgen und umschlingen,
Wie sie zu dem heißen Reigen
Ihre lockern Lieder singen!
Wie sie endlich glühend züngeln,
Jauchzend hoch und höher schlagen,
Mit den schlanken rothen Armen
Gierig in einander ragen!
Welches glühend frische Leben
Seh’ ich in den Flammen treiben –
Und nichts als ein Häuflein Asche
Soll von all’ den Gluthen bleiben? ….
4.
Todte Liebe, – kalte Asche!
Armer, längst zerstob’ner Traum –
Wie ein geisterhaftes Mahnen
Weht es durch den öden Raum!
Oft ist mir, als müßt ich hüten
Dich, wie einst, mein sterbend Kind –
Doch ein Luftzug – und die Asche
Fliegt hinaus in Nacht und Wind!
Ada Christen
(1839 – 1901)
Asche
1870
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Gebet
Urewiger!
Unendlicher!
Du hörst das Schreien
Der ringenden Seele.
Zu Dir geflüchtet
Bin ich in Stunden,
Wo Dir entfremdet
Und Dich verhöhnend,
In Schmutz und Sünde
Sich Jene wälzten,
Die gestern lobpriesen
Dein heiliges Wort,
Die morgen wieder
Vor Deinem Kreuze
Im Staub sich winden,
Ein heiliges Antlitz
Und heilige Sitten
Frommlächelnd zeigen. –
O ewiges Wesen
Barmherzig bist Du,
Du bist milde,
Göttlich, gütig! –
Ich glaube an Dich,
Ich hoffe auf Dich,
Und wenn auch versinkend,
Ruf ich zu Dir!
Du hörst dies Rufen …..
Der Krämerseelen
Erbärmlich Winseln
Dringt nicht an Dein Ohr:
Doch dort, wo Jammer
Und große Schuld
Vor Dir sich beugen
In schmerzlicher Reue,
Dort, wo beladen
Mit menschlichem Elend,
Von Dir ein Wesen,
Sündenmüde,
Lebensmüde,
Erlösung heischt,
Dort wirst Du hören, –
Denn Du bist Gott!
Ada Christen
(1839 – 1901)
Gebet
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Nachtbild
Heil dem Lebend’gen, der mit voller Hand
Sich zu den Armen und Verlassenen wendet,
Der seinen Trost aus kühlen Bronnen spendet.
Heil dem Propheten in der Sonne Brand!
Dranmor.
Nacht bedeckt den kleinen Friedhof.
In dem dumpfen Leichenhause
Flackert zitternd einer Lampe
Rothe Flamme. – Heiser knarren
Jene Thüren, die das Leben
Sorgsam von dem Tode trennen.
Meine Hand hat sichern Druckes
Sie geöffnet; wie im Schlafe
Aber wandelnd, dacht’ ich nimmer,
Sie zu schließen. –
Leise, wie mit Geisterstimmen
Klagt der Wind dort in den Weiden,
Pochet zürnend an die Fenster,
Flüstert mit den kranken Blumen,
Die aus der Verwesung sprießen,
Treibet mit den Wetterhähnen
Auf dem Thurm sein ächzend Spiel,
Flieget wimmernd um das Häuschen,
Daß die Fenster ängstlich klirren
Und die Flamme furchsam zuckt …
Jener bangen rothen Flamme
Schwankend Leuchten schien ein Winken,
Dem ich folgte, traumbefangen,
Und nun steh’ ich in dem engen
Schaurig-öden, kahlen Stübchen, –
Ich allein bei einem Todten.
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Auf zwei Schragen und zwei Brettern
Ruht der Todte, alt und häßlich,
Nur in Lumpen eingehüllet;
Ihm zu Haupte brennt die Lampe,
Deren zuckend rothe Lichter
Öfter wie ein Lächeln gleiten
Über die erstarrten Züge
Des verkommenen Gesellen.
Eine harmlos gläub’ge Hand
Suchte seine wildgeballten,
Nun im Tod gekrampften Hände
Fromm zu falten, wie bei Jenen,
Deren Leben schloß ein Beten. –
Auf zwei Schragen und zwei Brettern
Ruht der Todte, still und einsam,
Schläft den letzten, traumlos, leeren,
Ewigen Schlaf…..
Noch am Morgen jagten Bosheit,
Breit Behagen – dem das Elend
Unverständlich – Rohheit, Kaltsinn
Ruhlos ihn von Thür zu Thüre,
Und des Abends wankte jener
Unglücksel’ge, wie betrunken,
Durch die Straßen. Hunger weinte
Aus den kranken, trock’nen Augen,
Aber Trotz zuckt um die Lippen,
Als die Buben, die ihm folgten,
Näher trabten, um das Unthier
Zu beschauen, das man eben
Auf Befehl der weisen, milden
Obrigkeit von dannen hetzet.
Vagabund! so klingt es lachend
Aus dem Munde wilder Kinder;
Vagabund! so klingt es höhnend
Aus dem Mund der klugen Alten;
Vagabund! schreit roh der Büttel;
Vagabund! so ächzt er selber,
Weitertaumelnd. – – –
An der Straße, bei der Grenze
Todesmüde sinkt er nieder.
Fern verklinget das Gejohle
Jener tugendsamen Meute,
Die ihn hetzte und befriedigt
Von dem Schauspiel heim jetzt kehret
Zu dem Herde. –
Dunkel senket schon die Nacht sich
Nieder auf die stille Erde,
Und es senket auch die Nacht sich
Nieder auf die dunkle Seele
Des Gehetzten, des Verfluchten;
Über seinem armen Antlitz,
Grau, wie Spinngeweb’ gebreitet,
Liegen Elend und Verzweiflung.
Stumm umklammert er den Grenzstein
Und starrt finster nach dem einz’gen
Trüben Sterne, der herabschaut,
Auf sein Elend. –
Und es lösen von dem Steine
Los sich seine feuchten Hände
Und sie zucken, zittern, haschen
Nach den dunklen Nebelschatten.
Wild empor sind sie gerichtet,
Eine stumme, fürchterliche,
Himmelstürmend, crasse Drohung,
Wild empor noch schreit der Augen
Gottverneinend herbe Klage.
Aber plötzlich sinken nieder
Seine Arme; es verlöschen
Seiner Blicke letzte Blitze.
Von dem schwarzen Himmel knisternd
Fällt der einz’ge Stern hernieder,
Und ein Windstoß, zaust die Haare
Einer Leiche …..
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War es wie bei jenen Geiern,
Die da wittern, wo das Aas liegt,
Das sie nährt sammt ihren Jungen?
War es des Geschäftes Eifer,
Der ihn trieb, Dich aufzusuchen?
Denn es fand Dich, der berufen,
Sich zu nähren von den Todten,
An dem Grenzstein fand Dich, einsam,
Kalt und todt der – Todtengräber.
Mit den rauhen, derben Händen
Trug er selbst Dich in das Stübchen,
Das bestimmt ist für die Leichen
Jener, die am Wege sterben;
Für die Gott- und Weltverlass’nen
Ist dies Stübchen, ist der Schragen. –
Morgen aber scharret ein Dich,
Dort im letzten Friedhofwinkel,
Einsam, wie er Dich gefunden,
Für gar kargen Lohn der Alte,
Er allein kann Dich verwerthen:
Tod ist Brot ihm! –
Und doch trug auf seinen Händen
Dich ein Mensch zum Ort des Friedens,
Und es schlug ein Menschenherz
Einmal doch an Deinem Herzen…..
Schaurig Mitleid: Dich verspottend
Noch im Tode, giebt er Dir nun,
Was im Leben Dir wohl nimmer
Ist geworden: Licht und Ruhe
Dach und Hände, die Dich nimmer
Von sich stoßen! ….
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Nacht bedeckt den kleinen Friedhof,
In dem dumpfen Leichenhause
Flackert ängstlich knisternd, zuckend,
Jener Lampe rothe Flamme,
Deren Schwanken mir ein Winken,
Dem ich folgte traumbefangen –
Und noch steh’ ich in dem engen
Schaurig-öden, kahlen Stübchen, –
Ich alleine bei dem Todten!
Ada Christen
(1839 – 1901)
Nachtbild
1878
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Herzblut
1.
O könnt’ ich Alles geben,
Was dieses Herz bewegt,
Und all die tausend Gedanken,
Die wüst mein Schädel hegt! –
Es dränget heiß zur Lippe,
Was mir das Herz zerbricht;
Ich kenn’ es, ach, ich fühl’ es –
Doch sagen kann ich’s nicht!
2.
Es fragen mich die Menschen,
Was mich so elend gemacht;
Ich sag’ euch, ich habe mein Elend
Mit auf die Welt gebracht.
Es liegt in meinem Fühlen
In dem halbentfesselten Geist,
Der aufwärts will und der Alles
Zur Erde doch wieder reißt.
3.
Ich blickte jüngst in mich –
So recht in’s Herz hinein
Und glaubte noch etwas zu finden
Von dem, was einstens mein.
Ich sah mein verlornes Eden,
Mein versunkenes Paradies,
Mich selbst den gefallenen Engel,
Den Himmel und Erde verstieß.
4.
Ach nur einmal möcht’ ich sinken
Noch in deine Arme hin,
Und nur einmal noch vergessen,
Was ich war und was ich bin!
Ach nur einmal so dich sehen
Wie du einst gewesen bist;
Und dann Alles wieder leiden,
Was schon war und was noch ist.
5.
Nur eine Thräne gebt mir wieder,
Nur eine einz’ge will ich haben!
Mit dieser Thräne aber will ich
Das todeskranke Herze laben.
In diese Thräne will ich senken
Mein ganzes namenloses Weh,
Mit dieser Thräne will ich sagen,
Was ich stets fühl’ und kaum versteh’!
6.
Ach, ihr wißt nicht, wie sich’s lebt,
Athmet in der Trunkenheit
Einer Liebe, die befreit,
Die begeistert, die erhebt!
Ach, ihr wißt nicht, wie sich’s lebt,
Athmet in Versunkenheit
Einer Liebe, die entweiht,
An der Schmach und Elend klebt!
7.
Von dem, was ich besessen,
Ist wenig mir geblieben,
Von meinen süßen Träumen,
Von Glauben, Hoffen, Lieben!
Nur schmerzliches Erinnern
Ist’s, was das Herz behielt,
Verachtung, Haß und Flüche –
Und eines Mannes Bild.
8.
»Heut haben wir schönes Wetter.«
»»O ja, recht schönes, mein Herr!««
Das sind so unsre Gespräche,
So kalt, so dumm, so leer.
Du streichelst mir fragend die Wange,
Du kennst das gewisse Roth;
Für dich ist’s nichts als Schminke –
Für mich: in der Brust der Tod.
9.
Ich hab’ in langen Tagen
Gar oft an dich gedacht,
Ich hab’ in langen Nächten
Gehofft, geweint, gewacht.
Wie einstmals sitz’ ich wieder
Beim abgebrannten Licht;
Ich wache – aber hoffen
Und weinen kann ich nicht.
10.
Ich weinte um den Frühling –
Ich Thörin!
Ich weinte um die Blumen,
Die alle verblüht und verwelkt –
Ich Thörin!
Wer weint um meine Jugend?
Wer weint um meine Träume?! – –
11.
Sieh’, in dies dein theures Bildniß
Möcht’ ich mich so ganz versenken;
Könnt’ ich, ach! dem Bilde doch
Athem, Leben, Sprache schenken!
Könnt’ ich in die kalten Formen
Gluth und Blut und Liebe gießen,
Könnt’ ich diese lieben Hände
Heiß zu heißem Drucke küssen! –
Ach, ich kann es nicht. Es bleibet
Kalt und stumm in stolzer Ruh’;
Aber du bist gut getroffen:
Denn es ist so ganz wie du!
12.
Wenn ich ihn manchmal sah,
Hab’ ich gezittert, gebangt;
Und dennoch wieder hab’ ich
Nur ihn zu sehen verlangt.
Und wenn er im Vorbeigehen
Nur leicht mein Kleid berührt,
Hab’ ich noch lang darüber
Mit den Blumen diskurirt.
13.
Da sprach er so lieb und so freundlich,
So zärtlich, gütig und mild;
Man konnte beinahe glauben,
Er hab’ auch Alles gefühlt.
Doch plötzlich dieser Blick,
Dies Lächeln – o mein Gott!
Dies höhnische Compliment –
Ich wollt’, ich wäre todt!
14.
Ach ja, es ist nur allzu wahr,
Was nützt dir mein Lieben und Leben,
Und würd’ ich aus den Adern
Mein rothes Blut dir geben.
Blut ist Blut und bleibt es,
Und wird ja nie zu Geld,
Und Geld gehört zum Leben:
Das ist der Lauf der Welt.
Mein Leben nützt dir nichts;
Bezahlte man mich für’s Sterben,
Ich stürbe ja gerne morgen
Um Alles dir zu vererben.
15.
Ich sehne mich nach wilden Küssen,
Nach wollustheißen Fieberschauern;
Ich will die Nacht am hellen Tag
Nicht schon in banger Qual durchtrauern.
Noch schlägt mein Herz mit raschem Drang,
Noch brennt die Wang’ in Jugendgluthen –
Steh’ still, lösch’ aus mit einem Mal!
Nur nicht so tropfenweis verbluten!
16.
Du hast mich unsäglich elend gemacht,
Und doch, ich kann dich nicht lassen;
Ich liebe dich stets mehr und mehr –
Und sollte dich endlos hassen.
Mein letzter Stern ging unter,
Als du dich von mir gewandt:
Da bin ich mit vollem Herzen
In’s leere Leben gerannt.
17.
»Dein Vers hat nicht das rechte Maaß,«
So will man mich verweisen,
»An Fluß und Glätte fehlt es ihm« –
Und wie sie’s sonst noch heißen.
Sie zählen an den Fingern ab,
Verbessern wohl zehnmal wieder;
Ich leg’ die Hand auf mein blutendes Herz:
Was das sagt, schreib’ ich nieder.
Ada Christen
(1839 – 1901)
Herzblut
1869
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Menschen
Als ich, mit der Welt zerfallen,
Schweigend ging umher,
Da fragten die lieben Menschen:
Was quälet dich so sehr?
Ich sagte ihnen die Wahrheit;
Sie haben sich fortgedrückt
Und hinter meinem Rücken
Erklärt, ich sei verrückt.
Ada Christen
(1839 – 1901)
Menschen
• fleursdumal.nl magazine
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Ada Christen
(1839-1901)
Nein!
Nein! … Nein!
Es ist
Kein Traum …
Was jetzt wie
Einer Braut
Dir bang den
Busen hebt,
Aus Deinem
Auge schaut,
Durch Deine
Glieder bebt!
Es ist
Kein Traum …
Nein! … Nein!
Ja? … Ja?!
Es ist
Das Glück!
Was Du mir
Anvertraut,
Erröthend,
Demuthsvoll,
Was ich nicht
Ueberlaut
In Lüfte
Jubeln soll …
Es ist
Das Glück!
Ja! … Ja!
Quelle: Ada Christen: Aus der Tiefe. Hamburg 1878.
Ada Christen poetry
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