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Märchen
Ich hab vor deinem Hause still gestanden
In einer Nacht.
Und hatte ganz dich lieb und ohne Maßen;
Ich wies zu dir den Sternen goldne Straßen
Und habe selig stumm gelacht.
Ob meinem losen Haar hob ich die Arme
Wie Zweige, schlank und rund.
Da stürzte Regen in das Mainachtschweigen
Und rief sich zage Blüten aus den Zweigen,
Und jede war ein blasser Mund.
Du aber kamst nicht.
So streute ich mit lächelndem Verschwenden
Dem Mond die Blumen her.
Und spürte Treiben herber, dunkler Kräfte,
Mir ward die Frucht voll süßer, süßer Säfte;
Schon fiel sie, duftend, weich und schwer.
Du aber kamst nicht.
Eishagel tanzte höhnend auf den Steinen.
Da klaffte schwarz ein Schacht.
Drein ließ ich die zerbrochnen Arme hangen. –
Geblüht und Frucht getragen – und vergangen
In einer Nacht.
Gertrud Kolmar
(1894 – 1943)
Märchen
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Sehnsucht
Ich denke dein,
Immer denke ich dein.
Menschen sprachen zu mir, doch ich achtet es nicht.
Ich sah in des Abendhimmels tiefes Chinesenblau, daran
der Mond als runde gelbe Laterne hing,
Und sann einem anderen Monde, dem deinen, nach,
Der dir glänzender Schild eines ionischen Helden vielleicht
oder sanfter goldener Diskus eines erhabenen Werfers wurde.
Im Winkel der Stube saß ich dann ohne Lampenlicht,
tagmüde, verhüllt, ganz dem Dunkel gegeben,
Die Hände lagen im Schoß, Augen fielen mir zu.
Doch auf die innere Wand der Lider war klein und unscharf
dein Bild gemalt.
Unter Gestirnen schritt ich an stilleren Gärten, den Schatten-
rissen der Kiefern, flacher, verstummter Häuser,
steiler Giebel vorbei
Unter weichem düsteren Mantel, den nur zuweilen
Radknirschen griff, Eulenschrei zerrte,
Und redete schweigend von dir, Geliebter, dem lautlosen,
dem weißen mandeläugigen Hunde, den ich geleitete.
Verschlungene in ewigen Meeren ertrunkene Nächte!
Da meine Hand in den Flaum deiner Brust sich bettete
zum Schlummer,
Da unsere Atemzüge sich mischten zu köstlichem Wein,
den wir in Rosenquarzschale darboten unserer Herrin,
der Liebe,
Da in Gebirgen der Finsternis die Druse uns wuchs und
reifte, Hohlfrucht aus Bergkristallen und fliedernen
Amethysten,
Da die Zärtlichkeit unsere Arme Feuertulpen
porzellanblaue Hyazinthen aus welligen, weiten, ins
Morgersgraun reichenden Schollen rief,
Da, auf gewundenem Stengel spielend, die halberschlossene
Knospe des Mohns wie Natter blutrot über uns züngelte,
Des Ostens Balsam- und Zimmetbäume mit zitterndem
Laube um unsere Lager sich hoben
Und purpurne Weberfinken unserer Munde Hauch in
schwebende Nester verflochten. –
Wann wieder werden wir in des Geheimnisses Wälder fliehn,
die, undurchdringlich, Hinde und Hirsch vor dem
Verfolger schützen?
Wann wieder wird mein Leib deinen hungrig bittenden
Händen weißes duftendes Brot, wird meines Mundes
gespaltene Frucht deinen dürstenden Lippen süß sein?
Wann wieder werden wir uns begegnen?
Innige Worte gleich Samen von Wurzkraut und Sommer-
blumen verstreun
Und beglückter verstummen, um nur die singenden
Quellen unseres Blutes zu hören?
(Fühlst du, Geliebter, mein kleines horchendes Ohr, ruhend
an deinem Herzen?)
Wann wieder werden im Nachen wir gleiten unter zitronfarbnem
Segel,
Von silbrig beschäumter, tanzender Woge selig gewiegt,
Vorüber an Palmen, die grüner Turban schmückt wie den
Sproß des Propheten,
Den Saumriffn ferner Inseln entgegen, Korallenbänken,
an denen du scheitern willst?
Wann wieder, Geliebter . . . wann wieder . . ? . .
Nun sintert mein Weg
Durch Ödnis. Dorn ritzt den Fuß.
Bäche, frische, erquickende Wasser, murmeln; aber ich finde
sie nicht.
Datteln schwellen, die ich nicht koste. Meine verschmachtende
Seele
Flüstert ein Wort nur, dies einzige:
»Komm. . .«
O komm …
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
Gedicht: Sehnsucht
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Die Einsame
Ich ziehe meine Einsamkeit um mich,
Sie ist so wie ein wärmendstes Gewand
An mir geworden ohne Kniff noch Stich,
Wenn auch der Ärmel fällt tief über meine Hand.
Ein Ungekannter hat ihr Maß gezirkt,
Die fremdes Antlitz fühlt als trübes Wehn;
Die großen Schwarzhalsschwäne sind gewirkt
In ihre Falten; aber ich nur kann sie sehn.
Es tun sich meine innren Blicke auf
– Ein Pfauenauge, das die Flügel schließt –
Und schaun der Welle jadefarbnen Lauf,
Die alte Säume licht und strömend übergießt.
Sie feuchten so wie einer Elbe Haar.
Sie tragen noch den Fluss. Sie schleppen tief.
Und graues Berggestade fängt das Jahr,
Das wie ein Vogel ängstlich seine Tage rief.
Und nun ist Schweigen, Und das Kleid schwillt nun.
Und ich muss wachsen, dass es mir noch ziemt,
Drin Fische, wie sie niemals wirklich tun,
Um meine Brüste schweben, pupurblau gekiemt.
Der Erde Körner sind hineingesät.
Aus meiner Schulter bricht ein Felsengold,
Das Tuch durchschimmernd, das sich schleift und bläht
Und langsam über meiner Stirn zusammenrollt.
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Die Einsame
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Der Wal
K. J. gewidmet
Du. Dich wollt ich vom Himmel mir krallen,
Reißen tief in mein Leben hinein;
Tag ist eben zu Splittern zerfallen,
Sonne tröpfelt, nun süßerer Wein.
Ob meiner Hand,
Greisingewand,
Schleiert schon weißer der neblichte Schein.
Du. Du weidest auf kühleren Wiesen,
Schaumglasäckern, Gefilden der Flut,
Hinverwandelt zum schwebenden Riesen,
Der bei den Müttern der Bläue ruht.
Felsen von Eis
Stromen dir leis
Reinere Kissen, ihr silbernes Blut.
Was du empfunden, als Labe, als Beule,
Was du in Helle gedacht und begehrt,
Wirft dir vom Haupte die tanzende Säule
Höher ins Dunkel, das sprudelnde Schwert.
Lilie aus Gischt
Blüht und erlischt:
Seele, von ewigem Wogen verzehrt.
Warst du so stark je, so Stummheit und Rune?
War je dein Atem so hauchend und groß?
Stürzt dir mein frevelnder Schrei die Harpune,
Zerrst du durch jagende Qualen dich los?
Irgendwo weit,
Leicht in der Zeit,
Taumelt ein leeres, gekentertes Floß.
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Der Wal
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Der Engel im Walde
Gib mir deine Hand, die liebe Hand, und komm mit mir;
Denn wir wollen hinweggehen von den Menschen.
Sie sind klein und böse, und ihre kleine Bosheit haßt und peinigt uns.
Ihre hämischen Augen schleichen um unser Gesicht, und
ihr gieriges Ohr betastet das Wort unseres Mundes.
Sie sammeln Bilsenkraut . . .
So laß uns fliehn
Zu den sinnenden Feldern, die freundlich mit Blumen und
Gras unsere wandernden Füße trösten,
An den Strom, der auf seinern Rücken geduldig wuchtende
Bürden, schwere, güterstrotzende Schiffe trägt,
Zu den Tieren des Waldes, die nicht übelreden.
Komm.
Herbstnebel schleiert und feuchtet das Moos mit dumpf
smaragdenem Leuchten.
Buchenlaub rollt, Reichtum goldbronzener Münzen.
Vor unseren Schritten springt, rote zitternde Flamme,
das Eichhorn nur.
Schwarze gewundene Erlen züngeln am Pfuhl empor in
kupfriges Abendglasten.
Komm.
Denn die Sonne ist nieder in ihre Höhle gekrochen, und ihr
warmer rötlicher Atem verschwebt.
Nun tut ein Gewölb sich auf.
Unter seinem graublauen Bogen zwischen bekrönten Säulen
der Bäume wird der Engel stehn,
Hoch und schmal, ohne Schwingen.
Sein Antlitz ist Leid.
Und sein Gewand hat die Bleiche eisig blinkender Sterne
in Winternächten.
Der Seiende,
Der nicht sagt, nicht soll, der nur ist,
Der keinen Fluch weiß noch Segen bringt und nicht in
Städte hinwallt zu dem, was stirbt :
Er schaut uns nicht
In seinem silbernen Schweigen.
Wir aber schauen ihn,
Weil wir zu zweit und verlassen sind.
Vielleicht
Weht ein braunes, verwelktes Blatt an seine Schulter,
entgleitet;
Das wollen wir aufheben und verwahren, ehe wir weiterziehn.
Komm, mein Freund, mit mir, komm.
Die Treppe in meines Vaters Haus ist dunkel und krumm
und eng, und die Stufen sind abgetreten;
Aber jetzt ist es das Haus der Waise, und fremde Leute wohnen darin.
Nimm mich fort.
Schwer fügt der alte rostige Schlüssel im Tor sich meinen
schwachen Händen.
Nun knarrt es zu.
Nun sieh mich an in der Finsternis, du, von heut meine Heimat.
Denn deine Arme sollen mir bergende Mauern baun,
Und dein Herz wird mir Kammer sein und dein Auge mein
Fenster, durch das der Morgen scheint.
Und es türmt sich die Stirn, da du schreitest.
Du bist mein Haus an allen Straßen der Welt, in jeder
Senke, auf jedem Hügel.
Du Dach, du wirst ermattet mit mir unter glühendem
Mittag lechzen, mit mir erschauern, wenn Schneesturm
peitscht.
Wir werden dürsten und hungern, zusammen erdulden,
Zusammen einst an staubigem Wegesrande sinken und weinen …
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Der Engel im Walde
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Die Verlassene
An K. J.
Du irrst dich. Glaubst du, daß du fern bist
Und daß ich dürste und dich nicht mehr finden kann?
Ich fasse dich mit meinen Augen an,
Mit diesen Augen, deren jedes finster und ein Stern ist.
Ich zieh dich unter dieses Lid
Und schließ es zu und du bist ganz darinnen.
Wie willst du gehn aus meinen Sinnen,
Dem Jägergarn, dem nie ein Wild entflieht?
Du läßt mich nicht aus deiner Hand mehr fallen
Wie einen welken Strauß,
Der auf die Straße niederweht, vorm Haus
Zertreten und bestäubt von allen.
Ich hab dich liebgehabt. So lieb.
Ich habe so geweint … mit heißen Bitten …
Und liebe dich noch mehr, weil ich um dich gelitten,
Als deine Feder keinen Brief, mir keinen Brief mehr schrieb.
Ich nannte Freund und Herr und Leuchtturmwächter
Auf schmalem Inselstrich,
Den Gärtner meines Früchtegartens dich,
Und waren tausend weiser, keiner war gerechter.
Ich spürte kaum, daß mir der Hafen brach,
Der meine Jugend hielt – und kleine Sonnen,
Daß sie vertropft, in Sand verronnen.
Ich stand und sah dir nach.
Dein Durchgang blieb in meinen Tagen,
Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt,
Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt,
Um immer ihn zu tragen.
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Die Verlassene
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Krähen
Ich will den Tag verbringen in den Feldern,
Will lächerlich wie jene Scheuche stehn;
Die großen Vögel möchten aus den Wäldern
Auch so auf mein Gewand herniederwehn,
Um Schultern krallen, flüstern in mein Ohr
Aus Mären, die im grünen Buch sie lasen,
Von Hugin und von Munin, Tyr und Thor,
Von Yggrasill dem Weltenbaum der Asen,
Und von der Väter Dienstwerk beim Adepten,
Des Roten Leuen Sud, dem Blumengift,
Der Mauerspalte, drein sie bergend schleppten
Des siechen Herrn geheim erfundne Schrift,
Und anderes Gewinde, blumig kraus,
Altfränkisch duftend wie Levkojenblüten,
Was ihnen nachtrab schrieb und Fledermaus
Und was sie selbst in klugen Häuptlein hüten.
Doch manche würden gleich die Scholle hacken
um meine Füße, die zum Kosten lädt
So wie ein Würzbrot, feucht und frisch vom Backen,
Bereitet mit dem blanken Feldgerät,
An weißen mandeln und dem Zitronat,
An Engerlingen sich und Würmern letzen,
Der Süße endlich satt zu Rast und Rat
Und schweigend sich auf meine Hände setzen.
Und einmal schlügen Schwärme, Riesenwehe,
Den wilden Flug aus Mitternacht mir nah
Mit harten Liedern, die nur ich verstehe,
In ihrem scharfen, ungefügen Krah,
Mit unheilvollem Braus im düstren Kleid
Und mit erzürntem, drohendem Bewegen;
So fielen sie in gotteslose Zeit
Und auf die Länder als ein schwarzer Regen,
Die Welt verstummte. Bis der Weiler stöhnte.
Und weithin klagte heulend eine Stadt
Zerfreßnes Auge, das den Vater höhnte
Und seiner Mutter Herz verstoßen hat.
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Krähen
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Komm
O komm.
Du amethystenes Gewölbe großer Nacht.
O komm.
Du goldgestickte Decke über süßen Broten.
O komm.
Sternsamen, aus dem himmlischen Getreide rieselnd sacht.
O komm.
Du kupferdunkle Schlange, die mit Lebensgeifer spritzt die Toten.
O komm.
Du überm Alltag schwebende, verzückte Melodie,
O komm.
Ich möchte einmal dich mit Lippen fassen, eh ich sterbe.
O komm.
Du meine braune Rose. Solche gab es nie.
O komm.
Du samtner Taumund voll unsäglich süßer Herbe.
O komm.
Grau riesenhafter Turm, der in die Öden floh.
O komm.
Ich duck mit Schleierkäuzen mich am Fenster ohne Scheibe.
O komm.
Du steinernes Gesetz, das bröckelnd stürzte irgendwo.
O komm.
Ich richte die geborstne Tafel auf an finstrer Eibe.
O komm.
Du Zauberspange, die der unverstandne Spruch durchflicht.
O komm.
Mein Haupt in Ruhe, meine Stirn in Schlaf zu schließen.
O komm.
Du blauer Brunnen, der aus jeder Blume eine schöne Iris bricht.
O komm.
Du Regenbogenweinen, grasgesäumtes Fließen.
O komm.
Mein Kind. O komm, o komm, du Kind.
O komm.
Mein hohler Paukenschlag kann mich nicht mehr betäuben.
O komm.
Und willst du nicht, so nimm mich in den Wind.
O komm.
Und laß mich überm Meere, Ockersand, verstäuben.
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Komm
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Komm
Du hast meinem Munde die reife Granatfrucht geschenkt,
Des Apfels starken Saft, erzeugende Kerne,
Hast in die Himmelsgründe kristallen wachsender Sterne
Wurzeln des Rebstocks versenkt.
Blau schwellen Trauben: koste.
Siehe, ich bin ein Garten, den du gen Abend erreicht,
Fiebrige Arme an schlanker silberner Pforte zu kühlen,
Im verstummten Geäst Aprikose zu fühlen,
Bin unterm südlichen Hauch, der die Ruhende streicht,
Eine schmale, blasse Wiese.
Erschauerndes Gräsergefilde, lieg ich bereit und bloß;
Mitternachtsglut schloß mir Lippen bebender Winde zu,
Doch die verborgenste Blüte öffnet den purpurnen Schoß:
Du.
Du … komm…
Spüre, ich bin die Frau; meine klugen Finger erfüllen
Milchiges Porzellan mit Gewürzen der Lust,
Gießen zaubrisches Naß. Du spreitest aus Hüllen
Schlagenden Fittich, taumelst an meine Brust,
Sinkst, ein großes, lastendes Glück, in Tiefen.
Sanfter nun trägt dich die Flut, streichelt lässig die Flanken
Wuchtendem Schiffe, das drüben im Hafen war
Mit ragenden Schornsteintürmen, Masten hoher Gedanken;
Fühlst du die Möwe wehn dir durch rauchig wirbelndes
Haar?
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Komm
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Du
Du. Ich will dich in den Wassern wecken!
Du. Ich will dich aus den Sternen schweißen!
Du. Ich will dich von dem Irdnen lecken,
Eine Hündin! Dich aus Früchten beißen,
Eine Wilde! Du. Ich will so vieles –
Liebes. Liebstes. Kannst du dich nicht spenden?
Nicht am Ende des Levkojenstieles
Deine weiße Blüte zu mir wenden?
Sieh, ich ging so oft auf harten Wegen,
Auf verpflastert harten, bösen Straßen;
Ich verdarb, verblich an Glut und Regen,
Schluchzend, stammelnd: “. . . über alle Maßen . . .”
Und die Pauke und das Blasrohr lärmten,
Und ich kam mit einer goldnen Kette,
Tanzte unter Lichtern, die mich wärmten,
Schönen Lichtern auf der Schädelstätte.
Und ich möchte wohl in Gärten sitzen,
Auch den Wein wohl trinken aus der Kelter,
Doch die Lider klafften, trübe Ritzen,
Und ich ward in Augenblicken älter.
Und auf meinen Leichnam hingekrochen
Ist die Schnecke träger Arbeitstage,
Zog den Schleimpfad dünner grauer Wochen,
Schlaffer Freude und geringer Plage.
In den Wäldern bin ich umgetrieben.
Ich verriet den Vögeln deinen Namen,
Doch die Vögel sind mir ferngeblieben;
Wenn ich weinte, zirpte keiner: Amen.
Und die Scheckenkühe an den Rainen
Grasten fort mit seltnem Häupterheben.
Da entfloh ich wieder zu den Steinen,
Die mir dieses Kind, mein Kind nicht geben.
Einmal muß ich noch im Finstren kauern
Und das Göttliche zu mir versammeln,
Es beschwören durch getünchte Mauern,
Seinem Ausgang meine Tür verrammeln,
Bis zum bunten Morgen mit ihm ringen.
Ach, es wird den Segen nimmer sprechen,
Nur mit seinem Schlag der erznen Schwingen
Diese flehnde Stirn in Stücke brechen…
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Du
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Nächte
Deine Hände keimen in Finsternissen,
Und ich seh nicht, wie sie blühn,
Atmend aus dem Schnee der Kissen.
Meeresgrün,
Wogengrau verglitzern deine Augen;
Meine Wange leckt ihr Schaum.
Nelkenrote Quallen saugen . . .
Süßes Harz von weißem Birkenbaum
Tropft die Stille goldbraun nieder . . .
O breiter Flügel, zuckender Schulter entstiegen !
O bleicher Schwanenflügel, der mich beschattet!
O Nacken, flaumige Brust, o Leib, den ein Wiegen
Verschilfter Bucht umschläfert, zärtlich ermattet !
Libellensirrendes Wispern . . .
Gertrud Kolmar
(1894-1943)
gedicht: Nächte
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