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Gottfried Keller
(1819-1890)
Auf den Tod der Luise Scheidegger
Du solltest ruhen und ich störe dich,
Ich störe deine Ruhe, süsse Tote,
Ich wecke dich im kühlen Morgenrote
Und wecke dich, wenn Schlaf die Welt beschlich.
Die in der Morgenfrüh in leisen Schuhen
Die Ruh gesucht und mir die Unruh gab,
Nicht eine Feste ist dein zartes Grab,
Drin du geborgen kannst und sicher ruhen!
Entschwundnes Gut, o Herz voll seltner Güte,
Steh auf und schüttle nur dein nasses Haar!
Tu auf die lieben Äuglein treu und klar,
Gebrochen in des Lenzes reinster Blüte!
Du musst mit meinem Grame schmerzlich kosen,
Solang er wacht, das ist die meiste Zeit!
Erst wenn der Tod mir selber Ruh verleiht,
Magst kehren du, zu ruhn im Wesenlosen.
(1866)
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Gottfried Keller
(1819-1890)
Die kleine Passion
Der sonnige Duft, Semptemberluft,
sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch.
Das suchte sich die Ruhegruft
und fern vom Wald sein Leichentuch.
Vier Flügelein von Seiden fein
trug’s auf dem Rücken zart,
drin man im Regenbogenschein
spielendes Licht gewahrt!
Hellgrün das schlanke Leibchen war,
hellgrün der Füßchen dreifach Paar,
und auf dem Köpfchen wundersam
saß ein Federbüschchen stramm;
die Äuglein wie ein goldnes Erz
glänzten mir in das tiefste Herz.
Dies zierliche und manierliche Wesen
hatt’ sich zu Gruft und Leichentuch
das glänzende Papier erlesen,
darin ich las, ein dichterliches Buch;
so ließ den Band ich aufgeschlagen
und sah erstaunt dem Sterben zu,
wie langsam, langsam ohne Klagen
das Tierlein kam zu seiner Ruh.
Drei Tage ging es müd und matt
umher auf dem Papiere;
die Flügelein von Seide fein,
sie glänzten alle viere.
Am vierten Tage stand es still
gerade auf dem Wörtlein “will”!
Gar tapfer stand’s auf selbem Raum,
hob je ein Füßchen wie im Traum;
am fünften Tage legt’ es sich,
doch noch am sechsten regt’ es sich;
am siebten endlich siegt’ der Tod,
da war zu Ende seine Not.
Nun ruht im Buch sein leicht Gebein,
mög’ uns sein Frieden eigen sein!
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Gottfried Keller
(1819–1890)
Nachtfahrer
Es wiegt die Nacht mit himmelweiten Schwingen
Sich auf der Südsee blauen Wassergärten,
Daraus zurück wie Silberlilien springen
Die Sterne, die in tiefer Flut verklärten.
Wie ein entschlummert Kind an Mutterbrüsten
Ruht eine Insel selig in den Wogen:
So weich und weiß ist um die grünen Küsten
Die Brandung rings, ein Mutterarm, gezogen.
Ich wollt, es wär mein Herz so dicht umflossen
Von einem Meer der Ruhe und der Klarheit
Und drüberhin ein Himmel ausgegossen,
Des einz’ges Licht das Sonnenlicht der Wahrheit!
Und schöne Menschen schlafen in den Büschen,
Wie Bildwerk in ein Blumentuch gewoben;
Was ein erstorbnes Auge kann erfrischen,
Das hat ein Gott hier sorglich aufgehoben. –
Ein Blitz – ein Krach! – die stille Luft erzittert,
Dicht wälzt ein Rauch sich auf gekräustem Spiegel –
Ein Wasserdrache, der den Raub gewittert,
So naht es pfeilschnell mit gespreiztem Flügel!
Wach auf, wach auf, du stiller Menschengarten!
Gib deine Blüte hin für Glaskorallen!
Sieh, deines unschuldvollen Fleisches warten,
Du sanftes Volk, Europas scharfe Krallen!
Die Anker rasseln und die Segel sinken.
Wie schneidend schallt das Wort der fremden Ferne!
Vielhundert Bleichgesichter lüstern blinken
Im fahlen Schein der trüben Schiffslaterne.
Zuvorderst aus des Schiffes schwarzen Wänden
Ragt schwärzer in der giererfüllten Rotte
Der Christenpriester, schwingend in den Händen
Das Marterholz mit dem gequälten Gotte.
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Gottfried Keller
(1819–1890)
Unruhe der Nacht
Nun bin ich untreu worden
Der Sonn und ihrem Schein;
Die Nacht, die Nacht soll Dame
Nun meines Herzens sein!
Sie ist von düstrer Schönheit,
Hat ein bleiches Nornengesicht,
Und eine Sternenkrone
Ihr dunkles Haupt umflicht.
Heut ist sie so beklommen,
Unruhig und voller Pein;
Sie denkt wohl an ihre Jugend –
Das muß ein Gedächtnis sein!
Es weht durch alle Täler
Ein Stöhnen, so klagend und bang;
Wie Tränenbäche fließen
Die Quellen vom Bergeshang.
Die schwarzen Fichten sausen
Und wiegen sich her und hin,
Und über die wilde Heide
Verlorene Lichter fliehn.
Dem Himmel bringt ein Ständchen
Das dumpf aufrauschende Meer,
Und über mir zieht ein Gewitter
Mit klingendem Spiele daher.
Es will vielleicht betäuben
Die Nacht den uralten Schmerz?
Und an noch ältere Sünden
Denkt wohl ihr reuiges Herz?
Ich möchte mit ihr plaudern,
Wie man mit dem Liebchen spricht –
Umsonst, in ihrem Grame
Sie sieht und hört mich nicht!
Ich möchte sie gern befragen
Und werde doch immer gestört,
Ob sie vor meiner Geburt schon
Wo meinen Namen gehört?
Sie ist eine alte Sibylle
Und kennt sich selber kaum;
Sie und der Tod und wir alle
Sind Träume von einem Traum.
Ich will mich schlafen legen,
Der Morgenwind schon zieht –
Ihr Trauerweiden am Kirchhof,
Summt mir das Schlummerlied!
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Gottfried Keller
(1819–1890)
Abend auf Golgatha
Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser,
Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn?
Siehe, da schwebte, vom tauigen Schimmer gelockt, die Phaläne
Flatternd hernieder zu ruhn dort, wo gelastet das Kreuz.
Langsam schlug sie ein Weilchen die samtenen Flügel zusammen,
Breitet’ sie aus und entschwand fern in die sinkende Nacht.
Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer: den Pfeiler des Kreuzes
Hielt umfangen das Weib, das er zur Mutter sich schuf.
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Gottfried Keller
(1819–1890)
Poetentod
Der Herbstwind zieht, der Dichter liegt am Sterben,
Die Wolkenschatten jagen an der Wand;
An seinem Lager knien die zarten Erben,
Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.
Darin ein flücht’ger Abendstrahl ertrunken,
Mit dunklem Purpurwein netzt er den Mund;
Und wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,
Tut er den letzten Willen also kund:
»Die ich aus Wunderklängen aufgerichtet,
Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit!
Ich habe ausgelebt und ausgedichtet
Mein blühend Lied, dich, meine Erdenzeit!
Das stolz und mächtig diese Welt regierte,
Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus!
Der Gastfreund, der die edlen Hallen zierte,
Der Ruhm wallt mit dem Leichenzug hinaus.
Dann löschet meines Herdes helle Flamme
Und zündet wieder stille Kohlen an,
Wie’s Sitte war bei meiner Väter Stamme,
Eh ich den Schritt auf dieses Rund getan.
Und was den Herd in schönen Formen zierte,
Was sich an alter Weisheit um ihn fand,
Die heil’gen Schriften, die ich bei mir führte,
Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:
Daß meines Geistes namenloser Erbe
Mit klarem Aug, im leichten Schülerkleid,
Auf offnem Markt sich ahnungsvoll erwerbe,
Was ich in Sternennächten eingeweiht.
Nur meine Rosengärten lasset stehen,
Bis auch mein herrliches Poetenweib
Im nächsten Lenze wird zur Ruhe gehen,
Den Blumen schenkend ihren schönen Leib.
Dann aber mäht die Rosenbüsche nieder
Und brechet meine grünen Lauben ab!
Der Boden trage Kohl und Rüben wieder –
Nur eine Rose laßt auf meinem Grab!
Mein Lied wird siegreich durch die Lande klingen,
Ein Banner, von den Höhn der Erde wehn;
Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen
Wird meine Sippe dran vorübergehn.
Drum sollt ihr meinem Sohn das Leben gründen,
Gebt ihm ein Handwerk oder auch ein Schwert,
Und meine Tochter laßt den Freier finden,
Der sie in Lieb und Treuen redlich nährt.
Gebt jenen Band verblichner Schrift den Flammen,
‘s ist meiner Jugend greller Widerschein;
Die Asche und mein Lorbeerreis zusammen
Legt mir zu Häupten dann im Totenschrein!
Arm, wie ich kam, soll man hinaus mich tragen!
Den Lorbeer nur will ich mit Zaubermacht
Als Wünschelrute an die Sterne schlagen
Nach neuen Klängen aus der Strahlenpracht!« –
Noch überläuft sein Angesicht, das reine,
Mit einem Strahl das sinkende Gestirn –
So glühte eben noch im Rosenscheine,
Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.
Und wie das Schneegebirg, erlöscht, verblichen,
Zum Himmel raget zwischen Tag und Nacht,
Der letzte Nachhall übers Tal gestrichen,
Dann tiefe Stille auf den Landen wacht:
Die ganze Größe dieses schönen Spieles
Liegt in der engen Totenkammer nun,
Wo Weib und Kinder, stumm, voll Wehgefühles,
Verlassen um die Dichterleiche ruhn!
Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen
Von eines späten Adlers Flügeln weht:
Ist in der Totenstille zu erlauschen,
Wie eine Geisterschar von hinnen geht.
Sie ziehen aus, des Seligen Penaten,
In reiche Prachtgewänder tief verhüllt;
Sie gehn, die an der Wiege schon beraten,
Was er in Liedern dann so schön erfüllt.
Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,
Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,
Die Phantasie, und endlich ihr Gefährte,
Der Witz, mit leerem Becher, stolz und kalt.
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Gottfried Keller
(1819–1890)
Modernster Faust
Ich bin ein ganzer Held! Den Mantel umgeschlagen
– Romantisch schwarzer Samt erglänzt an Kleid und Kragen –
Stürm ich dahin in eitlem Wahn!
Ob Samt? ob nur Kattun? es war ein langes Zanken
Mit meinem Mütterlein; doch fest und ohne Wanken
Erstritt ich Samt, und niemand sieht mir’s an.
Leichtsinnig, hohen Muts mach ich die Morgenrunde;
Die Wintersonne scheint, Cigarro brennt im Munde,
Den ich dem Kaufmann schuldig bin;
Die Wintersonne scheint, kalt ist ihr Silberflimmer,
Und kalt ist mir das Herz, kalt meiner Augen Schimmer
Und trüb, befangen immerhin.
Da treff ich einen Freund auf meiner irren Bahn,
Wir halten mit Geklatsch ein halbes Stündchen an;
Wie wenn zwei alte Hexen schelten,
So bricht von Bosheit nun und Neid ein ganzer Chor
Von Zoten, schlechtem Witz und Haß aus uns hervor,
Daß mir verschämt die eignen Ohren gellten.
Da kommt ein Handwerksbursch, bleich, mit zerrißnen Sohlen,
Mütz in der Hand, geduckt, ein Gäblein sich zu holen;
Mit einem Kreuzer wär ihm wohlgetan.
Doch weil ich diesen nicht in leerer Tasche trage
Und doch nicht freundlich ihm es zu gestehen wage,
Fahr ich ihn rauh abweisend an.
Ob mir das kühle Herz in rascher Scham erglüht,
Ob auch ein blut’ger Schnitt mir durch die Seele zieht:
Man sieht es nicht in meinen Blicken;
Ich habe ja gelernt, mit höhnisch leichtem Spiel
Den halberfrornen Lenz, das innere Gefühl,
Wenn es erblühen will, zu unterdrücken!
O ich war treu, wie Gold, begeistert, klar und offen;
Ein Blatt ums andre fiel von meinem grünen Hoffen,
Und taube Nüsse tauscht ich ein!
Schmach über dich, o Welt! du hast mich ganz beladen
Mit deinem Schlamm und Staub! O könnt ich rein mich baden
Im wilden Meer, sollt’s auch ein Sterben sein!
Kokett ist dies Gedicht, Naivetät erlogen
Und nur das Schnöde wahr! Ich hab euch arg betrogen,
Denn zwei geworden sind mir Herz und Mund!
Ich bin ganz euer Bild: selbstsüchtig, falsch und eitel
Und unklar in mir selbst; vom Fuße bis zur Scheitel
Ein europäisch schlechter Hund!
Gottfried Keller poetry
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