Gottfried Keller: Poetentod
Gottfried Keller
(1819–1890)
Poetentod
Der Herbstwind zieht, der Dichter liegt am Sterben,
Die Wolkenschatten jagen an der Wand;
An seinem Lager knien die zarten Erben,
Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.
Darin ein flücht’ger Abendstrahl ertrunken,
Mit dunklem Purpurwein netzt er den Mund;
Und wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,
Tut er den letzten Willen also kund:
»Die ich aus Wunderklängen aufgerichtet,
Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit!
Ich habe ausgelebt und ausgedichtet
Mein blühend Lied, dich, meine Erdenzeit!
Das stolz und mächtig diese Welt regierte,
Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus!
Der Gastfreund, der die edlen Hallen zierte,
Der Ruhm wallt mit dem Leichenzug hinaus.
Dann löschet meines Herdes helle Flamme
Und zündet wieder stille Kohlen an,
Wie’s Sitte war bei meiner Väter Stamme,
Eh ich den Schritt auf dieses Rund getan.
Und was den Herd in schönen Formen zierte,
Was sich an alter Weisheit um ihn fand,
Die heil’gen Schriften, die ich bei mir führte,
Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:
Daß meines Geistes namenloser Erbe
Mit klarem Aug, im leichten Schülerkleid,
Auf offnem Markt sich ahnungsvoll erwerbe,
Was ich in Sternennächten eingeweiht.
Nur meine Rosengärten lasset stehen,
Bis auch mein herrliches Poetenweib
Im nächsten Lenze wird zur Ruhe gehen,
Den Blumen schenkend ihren schönen Leib.
Dann aber mäht die Rosenbüsche nieder
Und brechet meine grünen Lauben ab!
Der Boden trage Kohl und Rüben wieder –
Nur eine Rose laßt auf meinem Grab!
Mein Lied wird siegreich durch die Lande klingen,
Ein Banner, von den Höhn der Erde wehn;
Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen
Wird meine Sippe dran vorübergehn.
Drum sollt ihr meinem Sohn das Leben gründen,
Gebt ihm ein Handwerk oder auch ein Schwert,
Und meine Tochter laßt den Freier finden,
Der sie in Lieb und Treuen redlich nährt.
Gebt jenen Band verblichner Schrift den Flammen,
‘s ist meiner Jugend greller Widerschein;
Die Asche und mein Lorbeerreis zusammen
Legt mir zu Häupten dann im Totenschrein!
Arm, wie ich kam, soll man hinaus mich tragen!
Den Lorbeer nur will ich mit Zaubermacht
Als Wünschelrute an die Sterne schlagen
Nach neuen Klängen aus der Strahlenpracht!« –
Noch überläuft sein Angesicht, das reine,
Mit einem Strahl das sinkende Gestirn –
So glühte eben noch im Rosenscheine,
Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.
Und wie das Schneegebirg, erlöscht, verblichen,
Zum Himmel raget zwischen Tag und Nacht,
Der letzte Nachhall übers Tal gestrichen,
Dann tiefe Stille auf den Landen wacht:
Die ganze Größe dieses schönen Spieles
Liegt in der engen Totenkammer nun,
Wo Weib und Kinder, stumm, voll Wehgefühles,
Verlassen um die Dichterleiche ruhn!
Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen
Von eines späten Adlers Flügeln weht:
Ist in der Totenstille zu erlauschen,
Wie eine Geisterschar von hinnen geht.
Sie ziehen aus, des Seligen Penaten,
In reiche Prachtgewänder tief verhüllt;
Sie gehn, die an der Wiege schon beraten,
Was er in Liedern dann so schön erfüllt.
Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,
Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,
Die Phantasie, und endlich ihr Gefährte,
Der Witz, mit leerem Becher, stolz und kalt.
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