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Friedrich Gottlieb Klopstock
(1724-1803)
Das neue Jahrhundert
Weht sanft auf ihren Grüften, ihr Winde!
Und hat ein unwissender Arm
Ausgegraben den Staub der Patrioten,
Verweht ihn nicht!
Veracht’ ihn, Leyer, wer sie nicht ehrt!
Und stamt’ er auch aus altem Heldenstamme, veracht’ ihn!
Sie entrissen uns der hundertköpfigen Herschsucht,
Und gaben uns Einen König!
O Freyheit,
Silberton dem Ohre!
Licht dem Verstand’, und hoher Flug zu denken!
Dem Herzen gross Gefühl!
O Freyheit! Freyheit! nicht nur der Demokrat
Weiss, was du bist,
Des guten Königes glücklicher Sohn
Der weiss es auch.
Nicht allein für ein Vaterland,
Wo das Gesetz, und Hunderte herschen,
Auch für ein Vaterland,
Wo das Gesetz, und Einer herscht,
Ersteiget, wem diesen Tod sein grosses Herz verdient,
Ein hohes Thermopylä,
Oder einen andern Altar des Ruhms,
Und locket sein Haar, und stirbt!
Unsterblichkeit dir!
Mit Blumenkränzen umwindet
Die Muse dein heiliges blutiges Haar!
Und weinet Mutterthränen dir nach!
Süss und ehrenvoll ist es, sterben für’s Vaterland!
Für Friederich!
Und für des edlen Vaters
Glückliche Kinder, sein Volk!
Ich seh’, ich seh’, ein Geist der Patrioten
Entflammet der Krieger Schaar!
Du fliessest, fliessest,
Blut für das Vaterland!
Namen jetzt nicht bekanter, als andere Namen sind,
Fliegen wie Adler empor!
Die Mutter, die Braut trocknen die bebende Thräne schnell,
Denn des Todten Verdienst entweihten Thränen!
Allein mit Weisheit, die männlicher,
Mit Vaterliebe, die edler, als Muth zu kriegen, ist,
Hält Friederich sein Schwert zurück;
Europa donnert! er schweigt.
Dank dir! unser Vater,
Dass wir dein Fest, und unser Fest,
Unter des segentriefenden Friedens
Beschattendem Fittige feyren!
Nicht mit der lärmenden Pracht
Der Freude, welche nur schimmert, und tönt,
Nein, deiner würdiger, Friederich,
Mit tiefanbetendem Preise des Weltbeherschers,
Der uns dich, und deine Väter gab,
Mit stiller Ruh feyren wir,
Mit Freude tief in dem Herzen,
Und ihrer entzückenden Thräne!
Entschlafnes Jahrhundert!
Hebe dein niedergesunkenes Haupt noch Einmal empor,
Und gieb dem neuen Jahrhundert
Den Segen, welchen du hattest!
Es hebt aus seinem Grabe sich auf,
Und segnet:
Nur Friederich und Christian
Sollen das neue Jahrhundert beglücken!
Das flehen wir, und unsre Kinder,
Vorsehung, dich an!
Dich an, die jetzo die Völker
Mächtig erinnert, sie hersche!
Hört ihr der Herscherin donnernde Wage nicht klingen?
In ihren furchtbaren Klang
Schreyen Blut und Elend!
Nur wenige singen von Friedlen darein!
Die donnernde Wage tönet fort, und wägt!
Ein Sandkorn mehr, jetzt in die Eine,
Dann in die andere Schaale,
Ist Sieg voll Blut und Elend!
Noch werden der Krieger Stolzeste sagen: Nicht deine brüllenden Tode
Schrecken mich, nicht deine Wetter, Schlacht!
Aber das Sinken und Steigen der göttlichen Wagschaal,
Und ihr Todeston schrecken mich!
O Vorsehung, beschleuss doch endlich,
Endlich die blutigen
Wieder besiegten Siege,
Mit Einem, der Frieden gebeut!
So wollen unser Vater, und wir,
Er, dass er uns liebet!
Wir, dass wir ihn lieben!
Ohne Wehmuth uns freun!
Wie glücklich sind wir!
Weht über der Patrioten Gebein, ihr Winde, sanft!
Auch an Friederichs ungehinderter Liebe
Haben sie Theil!
O du, das uns mit jeder fröhlichen Hofnung umlächelt,
Festliches erstes Jahr!
Mit dem Flügel der Sommermorgenröthe,
Schwebst du dem Tage voran!
Friedrich Gottlieb Klopstock poetry
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Emma Lazarus
(1849 – 1887)
Regret
Thin summer rain on grass and bush and hedge,
Reddening the road and deepening the green
On wide, blurred lawn, and in close-tangled sedge;
Veiling in gray the landscape stretched between
These low broad meadows and the pale hills seen
But dimly on the far horizon’s edge.
In these transparent-clouded, gentle skies,
Wherethrough the moist beams of the soft June sun
Might any moment break, no sorrow lies,
No note of grief in swollen brooks that run,
No hint of woe in this subdued, calm tone
Of all the prospect unto dreamy eyes.
Only a tender, unnamed half-regret
For the lost beauty of the gracious morn;
A yearning aspiration, fainter yet,
For brighter suns in joyous days unborn,
Now while brief showers ruffle grass and corn,
And all the earth lies shadowed, grave, and wet;
Space for the happy soul to pause again
From pure content of all unbroken bliss,
To dream the future void of grief and pain,
And muse upon the past, in reveries
More sweet for knowledge that the present is
Not all complete, with mist and clouds and rain.
Emma Lazarus poetry
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Daniil Kharms
(1905-1942)
Blue Notebook No. 10 or The Red-Haired Man
Once, there was a red-haired man who had no eyes and no ears. Because he had no hair either, he was called “red-haired man” but only theoretically. He couldn’t speak since he had no mouth. He didn’t have a nose either. He also had no legs and no arms. He had no stomach, no back, no spine, and he also had no interior whatsoever. He had nothing at all! Therefore, it is not clear who we are actually talking about. In fact, we would rather not talk about him any more.
ГОЛУБАЯ ТЕТРАДЬ No. 10
Жил один рыжий человек, у которого не было глаз и ушей. У него не было и волос, так что рыжим его называли условно. Говорить он не мог, так как у него не было рта. Носа тоже у него не было. У него не было даже рук и ног. И живота у него не было, и спины у него не было, и хребта у него не было, и никаких внутренностей у него не было. Ничего не было! Так что не понятно, о ком идет речь. Уж лучше мы о нем не будем больше говорить.
Daniil Kharms (Charms) poetry
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Hans Leybold
(1892-1914)
Konfusion – Ein Film
Plötzlich sprangen in den Straßen Gräber auf wie Erbsenschoten,
und jämmerliche Wesen wälzten sich heraus, die drohten
mit ihren blassgebleichten Knochen ihren Ururenkeln:
Die stoben fort und auseinander, als brennte es in ihren Schenkeln,
Pest oder Cholera im Bauch oder Jüngster Tag am Ende
(man muss doch sehn, ob man Rettung fände,
man hat sein kleines Leben lieb; die Hände,
die sich über alles strecken – –
wer weiß, ob man schlauer ist, versucht, sich zu verstecken).
Sie hopsen, springen ängstlich über Straßenbahngeleise
sie tanzen durcheinander: jeder in seiner Weise,
der eine verkriecht sich im Lokus, um sich zu retten,
der verwälzt sich tief in seine Betten,
viele fallen über die Geländer hoher Brücken,
fallen in hochgeschwollene Ströme, müssen in großen Schlücken
gelbes Wasser saufen, andere aber drücken
voll Furcht vor Unbekanntem sich an ihre Weiber.
Auf einmal greift eine unmäßig große Hand vom Himmel,
schiebt sich langsam durch chaotische Gewimmel,
plättet die Straßen als wären sie Wäsche,
greift aus dem Gewühl sich ein paar besonders fesche
Kokotten und Kavaliere, ein paar dicke Kommerzienräte,
stört in den diversen Salons die Abschiedsfete,
stürzt Börse und Kirche und Rathaus um, als mähte
sie Gras … hebt sich, verschwindet … nichts ist passiert.
Ein Gentleman sieht nach, außerordentlich blasiert.
Hans Leybold poetry
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The owl
by Henry Wadsworth Longfellow
The owl, —
Au
The owl
Au
The great black
Owl
Au
Hi! a! haa!
Henry Wadsworth Longfellow, letter to Ferdinand Freiligrath, January 11, 1856; adapted from Henry Rowe Schoolcraft, Information Respecting the History, Condition, and Prospects of the Indian Tribes of the United States, vol. I, 1851. (Source: UbuWeb)
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Alfred Lichtenstein
(1889-1914)
Der Athlet
Einer ging in zerrissenen Hausschuhen
Hin und her durch das kleine Zimmer,
Das er bewohnte.
Er sann über die Geschehnisse,
Von denen in dem Abendblatt berichtet war.
Und gähnte traurig, wie nur jemand gähnt,
Der viel und Seltsames gelesen hat –
Und der Gedanke überkam ihn plötzlich,
Wie wohl den Furchtsamen die Gänsehaut
Und wie das Aufstoßen den Übersättigten,
Wie Mutterwehen:
Das große Gähnen sei vielleicht ein Zeichen,
Ein Wink des Schicksals, sich zur Ruh zu legen.
Und der Gedanke ließ ihn nicht mehr los.
Und also fing er an, sich zu entkleiden …
Als er ganz nackt war, hantelte er etwas.
Alfred Lichtenstein poetry
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Kempner, Friederike
(1828-1904)
Gegen die Vivisektion
Ein unbekanntes Band der Seelen kettet
Den Menschen an das arme Tier,
Das Tier hat seinen Willen – ergo Seele –
Wenn auch ‘ne kleinere als wir.
Ein Mensch, mißbrauchend die Gewalt und Stärke,
Ein lebend Herz zerreißend – wie?
Wer gleicht denn hier dem wilden Tiere,
Ist es der Mensch, ist es das Vieh?
Kempner, Friederike poetry
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Haipoes, nieuwe dichtbundel van Freda Kamphuis
Onlangs is de nieuwe haikubundel ‘Haipoes’ van Freda Kamphuis uitgegeven binnen het poëziefonds van Triona Pers in Houwerzijl.
Haipoes bevat 10 haiku’s over katten en andere dieren. Uitgever Dick Ronner heeft het bundeltje met de hand gedrukt van de Lectura. De vinylsnede op het omslag heeft (dubbeltalent: beeldend kunstenaar en schrijver) Freda Kamphuis speciaal voor deze bundel gemaakt.
in katzwijm
kat ligt op het dak
op en top een kat te zijn
zo lui als een zwijn
Haipoes is te bestellen via de link: http://www.zolderman.nl/triona/index.html
Haipoes meet 7 x 10 cm, telt 16 pagina’s en kost € 3,50.
# Meer informatie website Freda Kamphuis
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Hugo Ball: Totenrede für Hans Leybold (April 1915)
Hans Leybold — ich muß ihn ja gekannt haben! Wir führten an den Kammerspielen in München zusammen Hauptmanns »Helios« auf. Er war ein Student. Er machte mich mit der »Aktion« bekannt. Er negierte mein Gesäß. Er reizte mich maßlos.
Wir fanden einen kleinen Verlag in München. Der hieß Bachmair, H. F. S. X. Y. Bachmair. Anlaß vielen Gelächters für uns. Sprach Leybold: »Lasset uns eine Zeitschrift gründen!« Die hießen wir »Revolution«. Als die Zeitschrift gegründet war, verlangten die Abonnenten ein Programm. Leybold sprach: »Wohlan denn, Ihr —, wennschon immerhin: Hier habet ihr ein Programm«. Und schrieb: »Kampf gegen Seiendes, für Keimendes. Gegen Kunstportiere, Kulturportiere, Avenariusse, Scharrelmänner, Obskuranten, Schwärzlinge, Hertlinge, Hohlwege, Panteutschisten, Stagnaten, Kastraten. Gegen literaturbehaftete Oberlehrer, kunstsinnige Kritiker, allgemeine Rundschauer. In Summa: Gegen Zuständliches«. Und fügte hinzu: »Nichtschriftsteller heraus! Keine Literaten sollen gezüchtet werden«. Da hatte man denn die Revolution! Da war sie. 20 Jahre alt war der Kerl. Sehr hurtig. Und paffte einfach drauf los.
Sprach jemand in Berlin: »Was ist das für eine Revolution, die ihr da macht in München! Da steht ja kein Satz Politik drin!« »Richtig«, sprach Leybold, »da steht kein Satz Politik drin. Was soll man tun?« 5 Minuten später waren wir konfisziert mit Nummer I.
»Holla«, sagte ich zu ihm, »da steht nur kein Sozialismus, keine Altersfürsorge, kein Mutterheim, kein Rotes Kreuz drin. Und auch die Rosa Luxemburg wird nicht mitarbeiten. Noch Frau Zetkin«. »Aaber: Politik, zum Donnerwetter, Politik«, sprachen wir zweistimmig, »ist das etwas anderes als die Lehre von den Mitteln, mit denen man sich selbst oder eine Idee durchsetzt? Und wenn unsere Idee — na, sagen wir schon — ›der Geist‹ ist, ist es vielleicht unsere Politik, daß wir ›den Geist‹ durchsetzen?« Unter Geist verstanden wir aber alles, was gegen das Gesäß, gegen die Verdauung und gegen das Finanzherz gerichtet ist. Jeglichen Fanatismus im Gegensatz zu jeglichem Traum- und Innenleben. Jegliche Anarchie im Gegensatz zu jeglichem Bonzentum (sei’s, wer’s sei). Wir versuchten, das überlegene geistige Kaliber in unsere Hand zu bekommen und es spielen zu lassen. Wir suchten jede Handlung, jedes Unternehmen, jede Zeile Geschriebenes nur im Zusammenhang mit unserer Endabsicht zu ästimieren, für Komplexe empfindlicher als für Äußerungen. Für Wandlungen dankbarer als für »Charakter«. Unser Ziel aber hieß: Geistige Konspiration zwecks Ermöglichung geistiger Werte.
Inzwischen verspritzten wir Glossen und Gedichte, nach allen Seiten. »Die Revolution« verkrachte nach 5 Nummern. Leybold wurde nacheinander Mitarbeiter des »März«, des »Vorwärts«, der »Aktion«, der »Zeit im Bild«, der »Tat«.
Das Bedeutsamste, was er in dieser Zeit schrieb, scheint mir eine Glosse in »Zeit im Bild« gewesen zu sein. Dort vertrat er die Ansicht: »Es muß (in diesem Volk) immer etwas los sein. Immer etwas knallen, passieren. Immer wer angezaubert werden. Laut erhebet eure Stimmen, lauter, lauter. Der Zweck heiligt die Mittel«. Ein richtiger Jesuit, was? »Die Stillen im Lande«, meinte er, »werden nicht gehört«. Er meinte damit solche Herren Hermann Stehr, Gustav Landauer, Paul Boldt und andere.
Und es begab sich, daß uns der Einfall kam, Franz Blei zu propagieren. Wir fanden das sehr witzig. Blei hatte immer propagiert. Warum sollte er nicht selbst einmal propagiert werden? Also spielte er die Uraufführung seiner »Welle« in den Münchener Kammerspielen. Leybold programmatelte. Seewald inszenierte. Ich zeichnete verantwortlich. Wir bewarben uns um eine Theater-Direktion in Dresden. Wir versuchten das Münchener Künstlertheater in unsere Hand zu bekommen (wohl wissend, daß das Theater der springende Punkt ist). Wir planten eine internationale Anthologie von Lyrik. »Teufel, Teufel«, sagte Leybold, setzte sich in die Eisenbahn und fuhr nach Kiel.
Wir entspannen einen heftigen Briefwechsel. Er warb um mich, vorsichtig und höflich, wie um eine obszöne Frau. Wir erkannten einander und setzten ein Psychofakt in die Welt, das wir Baley nannten und das den Zweck hatte, Posen, Gesten, Vexationen zu kultivieren. Arrogant zu sein wie — wie Einstein.
Ich befreundete mich mit Kandinsky und ging zum Expressionismus über. Er seinerseits empfahl mir Heinrich Manns »Professor Unrat« zur Lektüre. Ich schrieb ihm:
»Wir, Bruder, toben mit den grellen Bumerangs, Trompetenbäume schrillen in Cis-Moll.
Wir schnellen durch die Luft gleich Fetzen grünen Tangs,
Blutäugig fliegende Fische voller Haß und Groll.«
Ich suchte ihn von Heinrich Mann und seiner Begeisterung für die Sachlichkeit abzubringen.
In demselben Moment erklärte Kaiser Wilhelm, daß das mit den Franzosen und Russen so nicht weitergehen könne. Und Leybold schwenkte auch die Fahne und blies auch ins Hifthorn und machte auch den Krieg mit Frankreich. Mir persönlich ist ja der Krieg unsympathisch, denn es ist eine Rigorosität, daß Leute wie Pèguy erschossen werden. Aber man kann nichts machen. Denn der Krieg ist eine Notwendigkeit Gottes. Dazu kam, daß Leybold eine Sympathie hatte für Kanonenrohre, weil sie ihn mit Freudschen Theorien erfüllten.
Doch hiervon genug. Sie werden wissen wollen, was dieser geniale junge Mann positiv geleistet hat. Nun denn! Er starb auf dem Felde der Ehre (viele Russen sterben anderswo). Er hat eine Zeitschrift gegründet, die einen sehr bedeutungsvollen Namen hat. Er pöbelte gegen Otto Ernst, gegen die Epigonen des Turnvaters Jahn, gegen Roda Roda, Feistritz, Walter Kollo und viele andere. Was an sich nichts bedeutet. Aber er faßte diese Insekten in Kristall, putzte sie auf, hing ihnen Schellen und Lendenschürze um, so daß mit der Zeit eine recht niedliche Negertruppe daraus geworden wäre.
Sodann: Er tat furchtbar viele Frauen auf: bei ihm eine Form der Propagierung des öffentlichen Lebens. Glich sich dadurch Ulrich von Hutten an. Dichtete:
Unglaublich viele schöne Frauen gibt es in der Stadt,
Sie haben blaßgepuderte Wangen und ziegelrote Münder,
Sie sind teils kränklich, teils gesünder,
Manche quellen über, manche werden niemals satt.
Er fiel Athleten an, Kunstturner, Studenten, Cafétiers und stiftete auf diese Weise eine Art abgekürzter Polemik. Er hielt es für ganz unwichtig, Literatur zu machen, und für sehr schwer, ein deutscher Schriftsteller zu werden, weil das eine contradictio in adjecto sei.
Aber das alles half ihm nichts. Eines Tages, mitten im Krieg, stürzte er vom Pferd, vor der Stadt Namur, kam zurück nach Berlin, pflanzte einen Vollbart ins Café des Westens und begab sich in seine Garnison Itzehoe, von wo er depeschieren ließ, er sei mit dem Tode abgegangen.
Es ist unerhört und scheußlich, daß dieser junge Mann aus dem Kriege nur die physische Konsequenz ziehen mußte, während die geistige ihm versagt blieb. Er ging ein (literarisch gesprochen). Er verendete (literarisch gesprochen). Er starb in irgendeiner Ecke, ohne einen Laut, und ohne daß er noch jemand gesprochen hätte. Fürs Vaterland. Aber er wollte hinaus aus dem Vaterland. Immer. Nur hinaus aus dem Vaterland. Mangel an Vaterland war direkt ein Defekt bei ihm. So war er geartet.
Ich sehe ihn vor mir, unbändig lachend. »Menschenskind, eine Totenrede?« Schon klemmt er das Monokel ins Auge, gibt seinem Körper einen Ruck und sistiert die Vorstellung. Oder auf der Straße: Er trägt einen blauen Mantel, geht mit verkniffenen, breitgeschwungenen Augenbrauen nach dem Tempo einer Automobilhupe und spuckt. »Alter Bulle«, sage ich zu ihm, »wir werden noch manchen Kampf miteinander zu kämpfen haben.« »Woll, woll«, sagt er, im raschen Gehen auf der Straße, während der Mantel fliegt.
Widersprechen Sie nicht! Kaufen Sie seine nachgelassenen Glossen und Gedichte, die ich herausgeben werde. Er ist hin. Es muß ihm sehr schwer gefallen sein, wie ich ihn kenne. Aber es ist nichts zu machen. Gedenken Sie seiner! Haben Sie Mitleid! Seien Sie freundlich! Sie alle haben seinen Tod mitverschuldet. Alle, wie Sie auch hier unten sitzen. Möge Ihnen sein Name einfallen, wenn Sie Ihre Kinder säugen!
Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Hugo Ball: Totenrede für Hans Leybold (April 1915)
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Hans Leybold
(1892-1914)
Auf einer Feldpostkarte
Zerflossen alles
in wirren Schaum,
mein Hirn ein weiter
luftleerer Raum.
Von außen schlagen
die Hämmer drauf:
mein Schädel ist
ein Kirchturmknauf.
Hans Leybold poetry
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More in: *War Poetry Archive, Archive K-L, Hans Leybold, Leybold, Hans
Emma Lazarus
(1849 – 1887)
Loneliness
All stupor of surprise hath passed away;
She sees, with clearer vision than before,
A world far off of light and laughter gay,
Herself alone and lonely evermore.
Folk come and go, and reach her in no wise,
Mere flitting phantoms to her heavy eyes.
All outward things, that once seemed part of her,
Fall from her, like the leaves in autumn shed.
She feels as one embalmed in spice and myrrh,
With the heart eaten out, a long time dead;
Unchanged without, the features and the form;
Within, devoured by the thin red worm.
By her own prowess she must stand or fall,
This grief is to be conquered day by day.
Who could befriend her? who could make this small,
Or her strength great? she meets it as she may.
A weary struggle and a constant pain,
She dreams not they may ever cease nor wane.
Emma Lazarus poetry
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More in: Archive K-L, Lazarus, Emma
Emma Lazarus
(1849 – 1887)
Longing
Look westward o’er the steaming rain-washed slopes,
Now satisfied with sunshine, and behold
Those lustrous clouds, as glorious as our hopes,
Softened with feathery fleece of downy gold,
In all fantastic, huddled shapes uprolled,
Floating like dreams, and melting silently,
In the blue upper regions of pure sky.
The eye is filled with beauty, and the heart
Rejoiced with sense of life and peace renewed;
And yet at such an hour as this, upstart
Vague myriad longing, restless, unsubdued,
And causeless tears from melancholy mood,
Strange discontent with earth’s and nature’s best,
Desires and yearnings that may find no rest.
Emma Lazarus poetry
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More in: Archive K-L, Lazarus, Emma
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