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Ernst Stadler
(1883-1914)
Linda
Du griffst nach Glück.
Es schmolz wie Flocken Schnees,
die du in aufgehobnen Händen eingefangen.
Frost fiel auf dich. Du hast Decken
über dein rot strömendes Herz gehangen.
Traumstarre kam und füllte alle Mulden deiner Seele
wie Gewässer aus entsperrten Wehren –
Nun fühlst du Wüsten um dich wachsen,
die dein wehes Blut verzehren.
Nun siehst du dich, mit nachtgebundnen Augen,
wie im Schlaf, durch tote Gassen schreiten
Und Schicksal, spukhaft nah und unerreichbar,
dir vorübergleiten.
Wach auf! Gespenster suchen dich!
Sieh: über dir wölbt sich südlicher Mittagshimmel,
buntgefleckt, goldtief und klar!
Sieh: der Meerwind deiner Kindheit weht immer noch
über dein aufgelockertes schwarzes Haar!
Sieh: deine schlaf betäubten Augen sind
ganz getränkt und vollgesogen
Mit Glück der Welt, das sie in frühen Klostertagen
dürstend auf sich hergezogen.
Und jeder Hauch,
der dein erwachend Blut dereinst bewegt,
Ward nun zum festen Pulsschlag,
der dein Wesen nährt und trägt.
Tanz bäumt sich in deinen Gliedern
und wartet, aufgereckt,
Daß deines Herzens Cymbelschlagen
seine Lust erweckt.
Deines Lebens Stimme steigt,
morgendlich überschwellend wie Lerchenschlag,
Über das Frühlingsland,
das lauter und jung erglänzt wie am ersten Tag.
Vor deiner Schwelle wartet alles Wunder
und will zu dir herein –
Schüttle die Nacht von dir!
Sei du! Und du wirst stark und selig sein.
Ernst Stadler poetry
kempis.nl poetry magazine
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Ernst Stadler
(1883-1914)
Pans Trauer
Die dunkle Trauer, die um aller Dinge Stirnen todessüchtig wittert,
Hebt sachte deiner Flöte Klingen auf, das mittäglich im braunen Haideröhricht zittert.
Die Schwermut aller Blumen, aller Gräser, Steine, Schilfe, Bäume stummes Klagen
Saugt es in sich und will sie demutsvoll in blaue Sommerhimmel tragen.
Die Müdigkeit der Stunden, wenn der Tag durch gelbe Dämmernebel raucht,
Heimströmend alles Licht im mütterlichen Schoß der Nacht sich untertaucht,
Verlorne Wehmut kleiner Lieder, die ein Mädchen tanzend sich auf Sommerwiesen singt,
Glockengeläut, das heimwehrauschend über sonnenrote Abendhügel dringt,
Die große Traurigkeit des Meers, das sich an grauer Küsten Damm die Brust zerschlägt
Und auf gebeugtem Rücken endlos die Vergänglichkeit vom Sommer in den jungen Frühling trägt –
Sinkt in dein Spiel, schwermütig helle Blüte, die in dunkle Brunnen glitt . . .
Und alle stummen Dinge sprechen leise glühend ihrer Seelen wehste Litaneien mit.
Du aber lächelst, lächelst . . Deine Augen beugen sich vergessen, weltenweit entrückt
Über die Tiefen, draus dein Rohr die große Wunderblume pflückt.
1911
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Ernst Stadler
(1883-1914)
Beata Beatrix
D. G. R.
Dämmerläuten schüttet in den veilchenblauen Abend
weiße Blütenflocken. Kleine Flocken
blank wie Muschelperlen rieseln· tanzen·
schwärmen weich wie dünne blasse Daunen·
wirbelnd· wölkend. Schwere Blütenbäume
streuen goldne Garben. Wilde Gärten
tragen mich in blaue Wundernächte·
große wilde Gärten. Tiefe Beete
schwanken brennend auf· wie Traumgewässer
still und spiegelnd. Silberkähne heben
mich von braunen Uferwiesen
in das Leuchten. Über Scharlachfluten
dunklen Mohns· der rot in Flammensäulen
züngelt· treibt der Nachen. Bleiche Lilien
tropfen schillernd drüberhin wie Wellen.
Düfte aus kristallnen Nächten tauchend·
schlingen wirr und hängen sich ins Haar·
und sie locken . . leise· leise . .
und die grünen klaren Tiefen flimmern . .
Purpurstrahlen schießen . . leise sink ich . .
süß umfängt mich müder Laut von Geigen . .
schwingt· sinkt· gleitende Paläste
funkeln fern. Licht stürzt
über mich. Weit· grün
schwebt ein Glänzen .
1904
Ernst Stadler poetry
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