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Grimm, Andersen e.o.: Fables, Fairy Tales & Stories

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Märchen der Brüder Grimm: Frau Trude

Märchen der Brüder Grimm

Jacob Grimm (1785-1863) & Wilhelm Grimm (1786-1859)

 

Frau Trude

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig, und wenn ihm seine Eltern etwas sagten, so gehorchte es nicht: wie konnte es dem gut gehen? Eines Tages sagte es zu seinen Eltern: “Ich habe so viel von der Frau Trude gehört, ich will einmal zu ihr hingehen, die Leute sagen, es sehe so wunderlich bei ihr aus, und erzählen, es seien so seltsame Dinge in ihrem Hause, da bin ich ganz neugierig geworden.” Die Eltern verboten es ihr streng und sagten: “Die Frau Trude ist eine böse Frau, die gottlose Dinge treibt, und wenn du zu ihr hingehst, so bist du unser Kind nicht mehr.” Aber das Mädchen kehrte sich nicht an das Verbot seiner Eltern und ging doch zu der Frau Trude. Und als es zu ihr kam, fragte die Frau Trude: “Warum bist du so bleich?” “Ach,” antwortete es und zitterte am Leibe, “ich habe mich so erschrocken über das, was ich gesehen habe.” “Was hast du gesehen?” “Ich sah auf Eurer Stiege einen schwarzen Mann.” “Das war ein Köhler.” “Dann sah ich einen grünen Mann.” “Das war ein Jäger.” “Danach sah ich einen blutroten Mann.” “Das war ein Metzger.” “Ach, Frau Trude, mir grauste, ich sah durchs Fenster und sah Euch nicht, wohl aber den Teufel mit feurigem Kopf.” “Oho,” sagte sie, “so hast du die Hexe in ihrem rechten Schmuck gesehen: ich habe schon lange auf dich gewartet und nach dir verlangt, du sollst mir leuchten.” Da verwandelte sie das Mädchen in einen Holzblock und warf ihn ins Feuer. Und als er in voller Glut war, setzte sie sich daneben, wärmte sich daran und sprach: “Das leuchtet einmal hell!”

ENDE

 

Die Märchen der Brüder Grimm

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Märchen der Brüder Grimm: Das Rätsel

Märchen der Brüder Grimm

Jacob Grimm (1785-1863) & Wilhelm Grimm (1786-1859)

 

Das Rätsel

Es war einmal ein Königssohn, der bekam Lust, in der Welt umherzuziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags geriet er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden und wußte nicht, wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zuging, und als er näher kam, sah er, daß das Mädchen jung und schön war. Er redete es an und sprach ‘liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?’ ‘Ach ja,’ sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, ‘das könnt ihr wohl, aber ich rate euch nicht dazu; geht nicht hinein.’ ‘Warum soll ich nicht?’ fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach ‘meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.’ Da merkte er wohl, daß er zu dem Hause einer Hexe gekommen war, doch weil es finster ward und er nicht weiter konnte, sich auch nicht fürchtete, so trat er ein. Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer und sah mit ihren roten Augen die Fremden an. ‘Guten Abend,’ schnarrte sie und tat ganz freundlich, ‘laßt euch nieder und ruht euch aus.’ Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen Topf etwas kochte. Die Tochter warnte die beiden, vorsichtig zu sein, nichts zu essen und nichts zu trinken, denn die Alte braue böse Getränke. Sie schliefen ruhig bis zum frühen Morgen. Als sie sich zur Abreise fertig machten und der Königssohn schon zu Pferde saß, sprach die Alte ‘warte einen Augenblick, ich will euch erst einen Abschiedstrank reichen.’ Während sie ihn holte, ritt der Königssohn fort, und der Diener, der seinen Sattel festschnallen mußte, war allein noch zugegen, als die böse Hexe mit dem Trank kam. ‘Das bring deinem Herrn,’ sagte sie, aber in dem Augenblick sprang das Glas, und das Gift spritzte auf das Pferd, und war so heftig, daß das Tier gleich tot hinst ürzte. Der Diener lief seinem Herrn nach und erzählte ihm, was geschehen war, wollte aber den Sattel nicht im Stich lassen und lief zurück, um ihn zu holen. Wie er aber zu dem toten Pferde kam, saß schon ein Rabe darauf und fraß davon. ‘Wer weiß, ob wir heute noch etwas Besseres finden,’ sagte der Diener, tötete den Raben und nahm ihn mit. Nun zogen sie in dem Walde den ganzen Tag weiter, konnten aber nicht herauskommen. Bei Anbruch der Nacht fanden sie ein Wirtshaus und gingen hinein. Der Diener gab dem Wirt den Raben, den er zum Abendessen bereiten sollte. Sie waren aber in eine Mördergrube geraten, und in der Dunkelheit kamen zwölf Mörder und wollten die Fremden umbringen und berauben. Ehe sie sich aber ans Werk machten, setzten sie sich zu Tisch, und der Wirt und die Hexe setzten sich zu ihnen, und sie aßen zusammen eine Schüssel mit Suppe, in die das Fleisch des Raben gehackt war. Kaum aber hatten sie ein paar Bissen hinuntergeschluckt, so fielen sie alle tot nieder, denn dem Raben hatte sich das Gift von dem Pferdefleisch mitgeteilt. Es war nun niemand mehr im Hause übrig als die Tochter des Wirts, die es redlich meinte und an den gottlosen Dingen keinen Teil genommen hatte. Sie öffnete dem Fremden alle Türen und zeigte ihm die angehäuften Schätze. Der Königssohn aber sagte, sie möchte alles behalten, er wollte nichts davon, und ritt mit seinem Diener weiter.

Nachdem sie lange herumgezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schöne, aber übermütige Königstochter war, die hatte bekanntmachen lassen, wer ihr ein Rätsel vorlegte, das sie nicht erraten könnte, der sollte ihr Gemahl werden: erriete sie es aber, so müßte er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit, sich zu besinnen, sie war aber so klug, daß sie immer die vorgelegten Rätsel vor der bestimmten Zeit erriet. Schon waren neune auf diese Weise umgekommen, als der Königssohn anlangte und, von ihrer großen Schönheit geblendet, sein Leben daransetzen wollte. Da trat er vor sie hin und gab ihr sein Rätsel auf, ‘was ist das,’ sagte er, ‘einer schlug keinen und schlug doch zwölfe.’ Sie wußte nicht, was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Rätselbücher auf, aber es stand nicht darin: kurz, ihre Weisheit war zu Ende. Da sie sich nicht zu helfen wußte, befahl sie ihrer Magd, in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Träume behorchen, und dachte, er rede vielleicht im Schlaf und verrate das Rätsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt, und als die Magd herankam, riß er ihr den Mantel ab, in den sie sich verhüllt hatte, und jagte sie mit Ruten hinaus. In der zweiten Nacht schickte die Königstochter ihre Kammerjungfer, die sollte sehen, ob es ihr mit Horchen besser glückte, aber der Diener nahm auch ihr den Mantel weg und jagte sie mit Ruten hinaus. Nun glaubte der Herr für die dritte Nacht sicher zu sein und legte sich in sein Bett, da kam die Königstochter selbst, hatte einen nebelgrauen Mantel umgetan und setzte sich neben ihn. Und als sie dachte, er schliefe und träumte, so redete sie ihn an und hoffte, er werde im Traume antworten, wie viele tun: aber er war wach und verstand und hörte alles sehr wohl. Da fragte sie ‘einer schlug keinen, was ist das?’ Er antwortete ‘ein Rabe, der von einem toten und vergifteten Pferde fraß und davon starb.’ Weiter fragte sie ‘und schlug doch zwölfe, was ist das?’ ‘Das sind zwölf Mörder, die den Raben verzehrten und daran starben.’ Als sie das Rätsel wußte, wollte sie sich fortschleichen, aber er hielt ihren Mantel fest, daß sie ihn zurücklassen mußte. Am andern Morgen verkündigte die Königstochter, sie habe das Rätsel erraten, und ließ die zwölf Richter kommen und löste es vor ihnen. Aber der Jüngling bat sich Gehör aus und sagte ‘sie ist in der Nacht zu mir geschlichen und hat mich ausgefragt, denn sonst hätte sie es nicht erraten.’ Die Richter sprachen ‘bringt uns ein Wahrzeichen.’ Da wurden die drei Mäntel von dem Diener herbeigebracht, und als die Richter den nebelgrauen erblickten, den die Königstochter zu tragen pflegte, so sagten sie ‘laßt den Mantel sticken mit Gold und Silber, so wirds Euer Hochzeitsmantel sein.’

ENDE

 

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Märchen der Brüder Grimm: Doktor Allwissend

Märchen der Brüder Grimm

Jacob Grimm (1785-1863) & Wilhelm Grimm (1786-1859)

Doktor Allwissend

Es war einmal ein armer Bauer namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Taler an einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor gerade zu Tisch; da sah der Bauer, wie er schön aß und trank, und das Herz ging ihm danach auf, und er wäre auch gern ein Doktor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich, ob er nicht auch könnte ein Doktor werden. „O ja”, sagte der Doktor, „das ist bald geschehen.” „Was muß ich tun?” fragte der Bauer. „Erstlich kauf dir ein Abecebuch, so eins, wo vorn ein Gockelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an und was sonst zur Doktorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten: ,Ich bin der Doktor Allwissend’ und laß das oben über deine Haustür nageln!” Der Bauer tat alles, wie’s ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen, großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doktor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte, wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an, ob er der Doktor Allwissend wäre. Ja, der wär er. So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen. O ja, aber die Grete, seine Frau müßte auch mit. Der Herr war damit zufrieden und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie fuhren zusammen fort. Als sie auf den adligen Hof kamen, war der Tisch gedeckt; da sollte er erst mitessen. Ja, aber seine Frau, die Grete, auch, sagte er und setzte sich mit ihr hinter den Tisch. Wie nun der erste Bediente mit einer Schüssel schönem Essen kam, stieß der Bauer seine Frau an und sagte: „Grete, das war der erste”, und meinte, es wäre derjenige, welcher das erste Essen brächte. Der Bediente aber meinte, er hätte damit sagen wollen: Das ist der erste Dieb; und weil er’s nun wirklich war, ward ihm angst, und er sagte draußen zu seinen Kameraden: „Der Doktor weiß alles, wir kommen übel an; er hat gesagt, ich wäre der erste.” Der zweite wollte gar nicht herein, er mußte aber doch. Wie er nun mit seiner Schüssel herein kam, stieß der Bauer seine Frau an: „Grete, das ist der zweite.” Dem Bedienten ward ebenfalls angst, und er machte, daß er hinauskam. Dem dritten ging’s nicht besser; der Bauer sagte wieder: „Grete, das ist der dritte.” Der vierte mußte eine verdeckte Schüssel hereintragen, und der Herr sprach zum Doktor, er sollte seine Kunst zeigen und raten, was darunter läge; es waren aber Krebse. Der Bauer sah die Schüssel an, wußte nicht, wie er sich helfen sollte, und sprach: „Ach, ich armer Krebs!” Wie der Herr das hörte, rief er: „Da, er weiß es, nun weiß er auch, wer das Geld hat.”

Dem Bedienten aber ward gewaltig angst, und er blinzelte den Doktor an, er möchte einmal herauskommen. Wie er nun hinauskam, gestanden sie ihm alle viere, sie hätten das Geld gestohlen; sie wollten’s ja gerne herausgeben und ihm eine schwere Summe dazu, wenn er sie nicht verraten wollte; es ginge ihnen sonst an den Hals. Sie führten ihn auch hin, wo das Geld versteckt lag. Damit war der Doktor zufrieden, ging wieder hinein, setzte sich an den Tisch und sprach: „Herr, nun will ich in meinem Buch suchen, wo das Geld steckt.” Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüßte. Der saß aber und schlug sein Abecebuch auf, blätterte hin und her und suchte den Gockelhahn. Weil er ihn nicht gleich finden konnte, sprach er: „Du bist doch darin und mußt auch heraus.” Da glaubte der im Ofen, er wäre gemeint, sprang voller Schrecken heraus und rief: „Der Mann weiß alles.” Nun zeigte der Doktor Allwissend dem Herrn, wo das Geld lag, sagte aber nicht, wer’s gestohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung und ward ein berühmter Mann.

ENDE

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Jacob & Wilhelm Grimm: Der Grabhügel

Märchen der Brüder Grimm

Jacob Grimm (1785-1863)

& Wilhelm Grimm (1786-1859)

 

Der Grabhügel

Ein reicher Bauer stand eines Tages in seinem Hof und schaute nach seinen Feldern und Gärten: das Korn wuchs kräftig heran und die Obstbäume hingen voll Früchte. Das Getreide des vorigen Jahrs lag noch in so mächtigen Haufen auf dem Boden, daß es kaum die Balken tragen konnten. Dann ging er in den Stall, da standen die gemästeten Ochsen, die fetten Kühe und die spiegelglatten Pferde. Endlich ging er in seine Stube zurück und warf seine Blicke auf die eisernen Kasten, in welchen sein Geld lag. Als er so stand und seinen Reichtum übersah, klopfte es auf einmal heftig bei ihm an. Es klopfte aber nicht an die Türe seiner Stube, sondern an die Türe seines Herzens. Sie tat sich auf und er hörte eine Stimme, die zu ihm sprach ‘hast du den Deinigen damit wohlgetan? hast du die Not der Armen angesehen? hast du mit den Hungrigen dein Brot geteilt? war dir genug, was du besaßest, oder hast du noch immer mehr verlangt?’ Das Herz zögerte nicht mit der Antwort ‘ich bin hart und unerbittlich gewesen und habe den Meinigen niemals etwas Gutes erzeigt. Ist ein Armer gekommen, so habe ich mein Auge weggewendet. Ich habe mich um Gott nicht bekümmert, sondern nur an die Mehrung meines Reichtums gedacht. Wäre alles mein eigen gewesen, was der Himmel bedeckte, dennoch hätte ich nicht genug gehabt.’ Als er diese Antwort vernahm, erschrak er heftig: die Knie fingen an ihm zu zittern und er mußte sich niedersetzen. Da klopfte es abermals an, aber es klopfte an die Türe seiner Stube. Es war sein Nachbar, ein armer Mann, der ein Häufchen Kinder hatte, die er nicht mehr sättigen konnte. ‘Ich weiß,’ dachte der Arme, ‘mein Nachbar ist reich, aber er ist ebenso hart: ich glaube nicht, daß er mir hilft, aber meine Kinder schreien nach Brot, da will ich es wagen.’ Er sprach zu dem Reichen ‘Ihr gebt nicht leicht etwas von dem Eurigen weg, aber ich stehe da wie einer, dem das Wasser bis an den Kopf geht: meine Kinder hungern , leiht mir vier Malter Korn.’ Der Reiche sah ihn lange an, da begann der erste Sonnenstrahl der Milde einen Tropfen von dem Eis der Habsucht abzuschmelzen. ‘Vier Malter will ich dir nicht leihen,’ antwortete er, ‘sondern achte will ich dir schenken, aber eine Bedingung mußt du erfüllen.’ ‘Was soll ich tun?, sprach der Arme. ‘Wenn ich tot bin, sollst du drei Nächte an meinem Grabe wachen.’ Dem Bauer ward bei dem Antrag unheimlich zumut, doch in der Not, in der er sich befand, hätte er alles bewilligt: er sagte also zu und trug das Korn heim.

Es war, als hätte der Reiche vorausgesehen, was geschehen würde, nach drei Tagen fiel er plötzlich tot zur Erde; man wußte nicht recht, wie es zugegangen war, aber niemand trauerte um ihn. Als er bestattet war, fiel dem Armen sein Versprechen ein: gerne wäre er davon entbunden gewesen, aber er dachte ‘er hat sich gegen dich doch mildtätig erwiesen, du hast mit seinem Korn deine hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.’ Bei einbrechender Nacht ging er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel, und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufging, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso ging die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm, als stände noch etwas bevor. Als er hinauskam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht, und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt, und nur große Reiterstiefeln waren sichtbar. ‘Was sucht Ihr hier?’ redete ihn der Bauer an, ‘gruselt Euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?, ‘Ich suche nichts,’ antwortete er, ‘aber ich fürchte auch nichts. Ich bin wie der Junge, der ausging, das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr große Reichtümer, und ich bin immer arm geblieben. Ich bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.’ ‘Wenn Ihr keine Furcht habt,’ sprach der Bauer, ‘so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.’ ‘Wacht halten ist Sache des Soldaten,’ antwortete er, ‘was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinsc haftlich tragen.’ Der Bauer schlug ein, und sie setzten sich zusammen auf das Grab.

Alles blieb still bis Mitternacht, da ertönte auf einmal ein schneidendes Pfeifen in der Luft, und die beiden Wächter erblickten den Bösen, der leibhaftig vor ihnen stand. ‘Fort, ihr Halunken,’ rief er ihnen zu, ‘der in dem Grab liegt, ist mein: ich will ihn holen, und wo ihr nicht weggeht, dreh ich euch die Hälse um.’ ‘Herr mit der roten Feder,’ sprach der Soldat, ‘Ihr seid mein Hauptmann nicht, ich brauch Euch nicht zu gehorchen, und das Fürchten hab ich noch nicht gelernt. Geht Eurer Wege, wir bleiben hier sitzen.’ Der Teufel dachte ‘mit Gold fängst du die zwei Haderlumpen am besten,’ zog gelindere Saiten auf und fragte ganz zutraulich, ob sie nicht einen Beutel mit Gold annehmen und damit heimgehen wollten. ‘Das läßt sich hören,’ antwortete der Soldat, ‘aber mit einem Beutel voll Gold ist uns nicht gedient: wenn Ihr so viel Gold geben wollt, als da in einen von meinen Stiefeln geht, so wollen wir Euch das Feld räumen und abziehen.’ ‘So viel habe ich nicht bei mir,’ sagte der Teufel, ‘aber ich will es holen: in der benachbarten Stadt wohnt ein Wechsler, der mein guter Freund ist, der streckt mir gerne so viel vor.’ Als der Teufel verschwunden war, zog der Soldat seinen linken Stiefel aus und sprach ‘dem Kohlenbrenner wollen wir schon eine Nase drehen: gebt mir nur Euer Messer, Gevatter.’ Er schnitt von dem Stiefel die Sohle ab und stellte ihn neben den Hügel in das hohe Gras an den Rand einer halb überwachsenen Grube. ‘So ist alles gut’ sprach er, ‘nun kann der Schornsteinfeger kommen.’

Beide setzten sich und warteten, es dauerte nicht lange, so kam der Teufel und hatte ein Säckchen Gold in der Hand. ‘Schüttet es nur hinein,’ sprach der Soldat und hob den Stiefel ein wenig in die Höhe, ‘das wird aber nicht genug sein.’ Der Schwarze leerte das Säckchen, das Gold fiel durch und der Stiefel blieb leer. ‘Dummer Teufel,’ rief der Soldat, ‘es schickt nicht: habe ich es nicht gleich gesagt? kehrt nur wieder um und holt mehr.’ Der Teufel schüttelte den Kopf, ging und kam nach einer Stunde mit einem viel größeren Sack unter dem Arm. ‘Nur eingefüllt,’ rief der Soldat, ‘aber ich zweifle, daß der Stiefel voll wird.’ Das Gold klingelte, als es hinabfiel, und der Stiefel blieb leer. Der Teufel blickte mit seinen glühenden Augen selbst hinein und überzeugte sich von der Wahrheit. ‘Ihr habt unverschämt starke Waden,’ rief er und verzog den Mund. ‘Meint Ihr,’ erwiderte der Soldat, ‘ich hätte einen Pferdefuß wie Ihr? seit wann seid Ihr so knauserig? macht, daß Ihr mehr Gold herbeischafft, sonst wird aus unserm Handel nichts.’ Der Unhold trollte sich abermals fort. Diesmal blieb er länger aus, und als er endlich erschien, keuchte er unter der Last eines Sackes, der auf seiner Schulter lag. Er schüttete ihn in den Stiefel, der sich aber so wenig füllte als vorher. Er ward wütend und wollte dem Soldat den Stiefel aus der Hand reißen, aber in dem Augenblick drang der erste Strahl der aufgehenden Sonne am Himmel herauf, und der böse Geist entfloh mit lautem Geschrei. Die arme Seele war gerettet.

Der Bauer wollte das Gold teilen, aber der Soldat sprach ‘gib den Armen, was mir zufällt: ich ziehe zu dir in deine Hütte, und wir wollen mit dem übrigen in Ruhe und Frieden zusammen leben, solange es Gott gefällt.’

ENDE


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