Jakob van Hoddis: Der Todesengel
Der Todesengel
I
Mit Trommelwirbeln geht der Hochzeitszug,
in seidner Sänfte wird die Braut getragen,
durch rote Wolken weißer Rosse Flug,
die ungeduldig goldne Zäume nagen.
Der Todesengel harrt in Himmelshallen
als wüster Freier dieser zarten Braut.
Und seine wilden, dunklen Haare fallen
die Stirn hinab, auf der der Morgen graut.
Die Augen weit, vor Mitleid glühend offen
wie trostlos starrend hin zu neuer Lust,
ein grauenvolles, nie versiegtes Hoffen,
ein Traum von Tagen, die er nie gewußt.
II
Er kommt aus einer Höhle, wo ein Knabe
ihn als Geliebte wunderzart umfing.
Er flog durch seinen Traum als Schmetterling
und ließ ihn Meere sehn als Morgengabe.
Und Lüfte Indiens, wo an Fiebertagen
das greise Meer in gelbe Buchten rennt.
Die Tempel, wo die Priester Zimbeln schlagen,
um Öfen tanzend, wo ein Mädchen brennt.
Sie schluchzt nur leise, denn der Schar Gesinge
zeigt ihr den Götzen, der auf Wolken thront
und Totenschädel trägt als Schenkelringe,
der Flammenqual mit schwarzen Küssen lohnt.
Betrunkne tanzen nackend zwischen Degen,
und einer stößt sich in die Brust und fällt.
Und während blutig sich die Schenkel regen,
versinkt dem Knaben Tempel, Traum und Welt.
III
Dann flog er hin zu einem alten Manne
und kam ans Bett als grüner Papagei.
Und krächzt das Lied: »O schmähliche Susanne!«
Die längst vergessne Jugendlitanei.
Der stiert ihn an. Aus Augen glasig blöde
blitzt noch ein Strahl. Ein letztes böses Lächeln
zuckt um das zahnlose Maul. Des Zimmers Öde
erschüttert jäh ein lautes Todesröcheln.
IV
Die Braut friert leise unterm leichten Kleide.
Der Engel schweigt. Die Lüfte ziehn wie krank.
Er stürzt auf seine Knie. Nun zittern beide.
Vom Strahl der Liebe, der aus Himmeln drang.
Posaunenschall und dunkler Donner lachen.
Ein Schleier überflog das Morgenrot.
Als sie mit ihrer zärtlichen und schwachen
Bewegung ihm den Mund zum Küssen bot.
Jakob van Hoddis
(1887 – 1942)
Der Todesengel (Gedicht)
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