Karl May: Ave Maria (Gedicht)
Ave Maria
Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach, könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein!
Ich leg’ mein Flehen dir zu Füßen;
O, trag’s empor zu Gottes Thron,
Und laß, Madonna, laß dich grüßen
Mit des Gebetes frommem Ton:
Ave, ave Maria!
Es will das Licht des Glaubens scheiden;
Nun bricht des Zweifels Nacht herein.
Das Gottvertrau’n der Jugendzeiten,
Es soll mir abgestohlen sein.
Erhalt’, Madonna, mir im Alter
Der Kindheit frohe Zuversicht;
Schütz’ meine Harfe, meinen Psalter;
Du bist mein Heil, du bist mein Licht!
Ave, ave Maria!
Es will das Licht des Lebens scheiden;
Nun bricht des Todes Nacht herein.
Die Seele will die Schwingen breiten;
Es muß, es muß gestorben sein.
Madonna, ach, in deine Hände
Leg’ ich mein letztes, heißes Fleh’n:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig Aufersteh’n!
Ave, ave Maria!
Karl May
(1842-1912)
Ave Maria
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