Heinrich Heine: Friedrike
Friedrike
1
Verlaß Berlin, mit seinem dicken Sande
Und dünnen Tee und überwitz’gen Leuten,
Die Gott und Welt, und was sie selbst bedeuten,
Begriffen längst mit Hegelschem Verstande.
Komm mit nach Indien, nach dem Sonnenlande,
Wo Ambrablüten ihren Duft verbreiten,
Die Pilgerscharen nach dem Ganges schreiten,
Andächtig und im weißen Festgewande.
Dort, wo die Palmen wehn, die Wellen blinken,
Am heil’gen Ufer Lotosblumen ragen
Empor zu Indras Burg, der ewig blauen;
Dort will ich gläubig vor dir niedersinken,
Und deine Füße drücken, und dir sagen:
»Madame! Sie sind die schönste aller Frauen!«
2
Der Ganges rauscht, mit klugen Augen schauen
Die Antilopen aus dem Laub, sie springen
Herbei mutwillig, ihre bunten Schwingen
Entfaltend, wandeln stolzgespreizte Pfauen.
Tief aus dem Herzen der bestrahlten Auen
Blumengeschlechter, viele neue, dringen,
Sehnsuchtberauscht ertönt Kokilas Singen –
Ja, du bist schön, du schönste aller Frauen!
Gott Kama lauscht aus allen deinen Zügen,
Er wohnt in deines Busens weißen Zelten,
Und haucht aus dir die lieblichsten Gesänge;
Ich sah Wassant auf deinen Lippen liegen,
In deinem Aug’ entdeck ich neue Welten,
Und in der eignen Welt wird’s mir zu enge.
3
Der Ganges rauscht, der große Ganges schwillt,
Der Himalaja strahlt im Abendscheine,
Und aus der Nacht der Banianenhaine
Die Elefantenherde stürzt und brüllt –
Ein Bild! Ein Bild! Mein Pferd für’n gutes Bild!
Womit ich dich vergleiche, Schöne, Feine,
Dich Unvergleichliche, dich Gute, Reine,
Die mir das Herz mit heitrer Lust erfüllt!
Vergebens siehst du mich nach Bildern schweifen,
Und siehst mich mit Gefühl und Reimen ringen –
Und, ach! du lächelst gar ob meiner Qual!
Doch lächle nur! Denn wenn du lächelst, greifen
Gandarven nach der Zither, und sie singen
Dort oben in dem goldnen Sonnensaal.
Heinrich Heine
(1797-1856)
Friedrike
1823
• fleursdumal.nl magazine
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