Gotthold Ephraim Lessing: Das Mädchen
Gotthold Ephraim Lessing
(1729-1781)
Das Mädchen
Zum Mädchen wünscht’ ich mir – und wollt’ es, ha! recht lieben –
Ein junges, nettes, tolles Ding,
Leicht zu erfreun, schwer zu betrüben,
Am Wuchse schlank, im Gange flink,
Von Aug’ ein Falk,
Von Mien’ ein Schalk;
Das fleißig, fleißig liest:
Weil alles, was es liest,
Sein einzig Buch – der Spiegel ist;
Das immer gaukelt, immer spricht,
Und spricht und spricht von tausend Sachen,
Versteht es gleich das Zehnte nicht
Von allen diesen tausend Sachen:
Genug, es spricht mit Lachen,
Und kann sehr reizend lachen.
Solch Mädchen wünscht’ ich mir! – Du, Freund, magst deine Zeit
Nur immerhin bei schöner Sittsamkeit,
Nicht ohne seraphin’sche Tränen,
Bei Tugend und Verstand vergähnen.
Solch einen Engel
Ohn’ alle Mängel
Zum Mädchen haben:
Das hieß’ ein Mädchen haben? –
Heißt eingesegnet sein, und Weib und Hausstand haben.
Gotthold Ephraim Lessing poetry
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