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Thomas a Kempis: Daß in Gott über allen Gütern und Gaben zu ruhen ist

Thomas a Kempis

(Thomas van kempen, Thomas von Kempen)

(1380-1471)

 

Daß in Gott über allen Gütern und Gaben zu ruhen ist

 

Der Knecht


1. Über allem und in allem wirst du, meine Seele,
immerdar in Gott ruhen,
weil er selbst die ewige Ruhe der Heiligen ist.

Gib mir, o süßester, liebreichster Jesus,
in dir über allem Geschöpflichen zu ruhen:
über jedem Heil,
jeder Schönheit,
jedem Ruhm, jeder Ehre;
über jeder Macht und Würde,
über allem Wissen und allem Scharfsinn,
über allen Reichtümern und Künsten,
über jeder Freude, jedem Frohlocken;
über allem Lob und Preis,
über jeder Süße und jedem Trost,
über jeder Hoffnung und Verheißung;
über jedwedem Verdienst und Begehren,
über allen Gütern und Gaben,
die du geben und einflößen kannst,
über jeder Freude und jedem Jubel,
den der Geist empfangen und fühlen kann.
Endlich über allen Engeln und Erzengeln
und über allem Himmelsheer;
über allem Sichtbaren und Unsichtbaren
und über allem, was du, Gott, nicht bist!

2. Denn du, Herr, mein Gott,
bist der Allerbeste,
du allein der Höchste,
du allein der Mächtigste,
du allein der Zureichendste und Erfüllteste,
du allein der Süßeste und Trostreichste,
du allein der Schönste und Liebevollste,
du allein der Edelste und über alles Ruhmreichste,
in dem alles Gute zugleich und vollkommen ist
und immer war und sein wird.
Und darum ist so gering und ungenügend,
was immer du außer dir selbst mir gibst
oder aus dir selbst offenbarst
oder verheißest, wenn ich dich nicht schaue
und nicht vollkommen erlange.
Darum kann mein Herz nicht wahrhaft ruhen
noch ganz zufrieden sein, außer wenn es in dir ruht
und über alle Gaben und alles Geschaffene
sich hinaufschwingt.

3. O mein innigst geliebter Bräutigam Jesus Christus,
du reinster Liebender, du Herr aller Geschöpfe:
wer gibt mir die Schwingen der wahren Freiheit,
um zu dir zu fliegen und in dir zu ruhen?
Oh, wann wird mir ganz gegeben,
frei zu sein und zu schauen,
wie du süß bist, Herr, mein Gott?
Wann werde ich mich ganz in dir sammeln,
daß ich vor Liebe zu dir nicht mich fühle,
sondern nur dich über allen Sinn,
über alles Maß,
in einer nicht allen bekannten Weise?
Jetzt aber seufze ich viel und trage mein Unglück mit Leid.
Denn in diesem Jammertal widerfahren mir
viele Übel, die mich bald verwirren,
traurig machen und umdüstern,
bald mich hemmen und zerstreuen,
anlocken und verstricken,
daß ich keinen freien Zugang zu dir habe,
daß ich nicht froher Umarmungen genieße,
wie sie den seligen Geistern immer gewährt sind.
Möge dich mein Seufzen und meine vielfache Verzweiflung
auf Erden bewegen!

4. O Jesus, Glanz ewiger Glorie,
Trost der pilgernden Seele,
bei dir ist mein Mund ohne Stimme,
und mein Schweigen redet zu dir.
Wie lange noch zaudert mein Herr, zu kommen?
Er komme zu mir, seinem Allerärmsten,
und mache mich fröhlich.
Er sende seine Hand aus
und reiße den Armen aus aller Angst.
Komme, komme!: denn ohne dich wird kein Tag
und keine Stunde froh sein;
nur du ja bist meine Freude,
und ohne dich steht mein Tisch leer.
Elend bin ich und gleichsam eingekerkert
und mit den Füßen im Stock:
bis du mich wieder durch das Licht
deiner Gegenwart aufrichtest
und mich der Freiheit gibst
und ein freundliches Antlitz mir zeigst.

5. Mögen andere statt deiner andres suchen,
was ihnen beliebt: mir gefällt indessen
nichts anderes, noch wird mir anderes gefallen
als du mein Gott,
meine Hoffnung und ewiges Heil.
Nicht werde ich schweigen
noch aufhören zu flehen,
bis deine Gnade zurückkehre
und du mir im Innern redest:

Der Herr

6. “Siehe, hier bin ich”. Siehe, ich bin bei dir,
denn du hast mich gerufen.
Deine Tränen und die Sehnsucht
deiner Seele, deine Erniedrigung
und die Zerknirschung deines Herzens
neigten und führten mich dir zu.

Der Knecht

7. Und ich sprach:
Herr, ich rief dich und sehnte mich,
deiner zu genießen,
bereit, alles für dich zu verschmähen.
Du ja hast mich zuvor erweckt,
daß ich dich suche.
Sei also benedeit, Herr,
“der du diese Güte an deinem Knecht getan,
in der Fülle deiner Barmherzigkeit”.
Was hat noch dein Knecht vor dir zu sagen,
außer, daß er sich demütige vor dir,
immerdar eingedenk seiner eigenen Schlechtigkeit
und Niedrigkeit.
Denn nichts ist dir ähnlich unter allen Wundern
des Himmels und der Erde.
Sehr gut sind deine Werke,
wahr deine Urteile,
und durch deine Vorsehung wird das All regiert.
Darum Lob dir und Ruhm,
Weisheit des Vaters:
es lobe und benedeie dich
mein Mund, meine Seele
und alles Geschaffene mit mir.

Thomas a Kempis

kemp=mag – kempis poetry magazine – magazine for art & literature

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