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Stefan George: Goethes letzte Nacht in Italien

Stefan George

(1868-1933)

 

Goethes letzte Nacht in Italien

 

Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer?

Fichten seh ich zwei ihre schwarzen flügel

Recken ins stetige blau der nacht und dazwischen

Silbern in ruhigem flimmern ein einziger stern.

Aus den büschen tritt nun das Paar..vor dem Bild

Mitten im laub-rund · leuchtender marmor wie sie ·

Tun sie noch immer umschlungen den grossen schwur.

Mächtig durch der finsteren bräuche gewalt

Heben sie nun ihre häupter für herrschaft und helle.

Staunend hört ihren heldengesang die verklärung

Ewiger räume · dann trägt ihn der duftige wind

Über das schlummernde land und die raunende see.

 

Abschied reisst durch die brust – von dem heiligen boden

Wo ich erstmals wesen wandeln im licht

Sah und durch reste der säulen der Seligen reigen..

Ich den ihr preisend >herz eures volkes< genannt

>Echtesten erben<: hier hab ich vor armut gezittert ·

Hier ward erst mensch der hier wiederbegonnen als kind.

Durch die nebel schon hör ich euch schmälende stimmen:

>Hellas’ lotus liess ihn die heimat vergessen<…

O dass mein wort ihr verstündet – kein weiseres frommt euch –

>Nicht nur in tropfen · nein traget auch fürder in strömen

Von eurem blute das edelste jenseit der berge ·

Anteil und sinn euch solang ihr noch unerlöst<.

 

Euch betraf nicht beglückterer stämme geschick

Denen ein Seher erstand am beginn ihrer zeiten

Der noch ein sohn war und nicht ein enkel der Gäa

Der nicht der irdischen schichten geheimnis nur spürte

Der auch als gast in ambrosischen hallen geweilt

Der dort ein scheit des feuers stahl für sein volk

Das nun sein lebenlang ganz nicht mehr tastet in irre

Der in die schluchten der grausigen Hüterinnen

Die an den wurzeln im Untersten sitzen · sich wagte

Die widerstrebenden schreienden niederrang

Ihnen die formel entreissend mit der er beschwört…

Solch einer ward euch nicht und ich bin es nicht.

 

Früh einst – so denkt es mir – trug ein bewimpeltes schiff

Uns in das nachbarlich rheinische rebengeländ..

Hellblauer himmel des herbstes besonnte die gaue

Weisse häuser und eichen-kronige gipfel..

Und sie luden die lezten trauben am hügel

Schmückten mit kränzen die bütten, die festlichen winzer,

Nackte und golden gepuzte mit flatternden bändern..

Lachend mit tosendem sange beim dufte des mostes

Also stürmte die strasse am tiefgrünen strom

Purpurnes weinlaub im haare der bacchische zug.

Dort an dem römischen Walle, der grenze des Reichs ·

Sah ich in ahnung mein heimliches muttergefild.

 

Unter euch lebt ich im lande der träume und töne

In euren domen verweilt ich · ehrfürchtiger beter,

Bis mich aus spitzen und schnörkeln aus nebel und trübe

Angstschrei der seele hinüber zur sonne rief.

Heimwärts bring ich euch einen lebendigen strahl ·

Dränge zutiefst in den busen die dunkleren flammen ·

Euch ein verhängnis solang ihr verworren noch west.

Nehmt diesen strahl in euch auf – o nennt ihn nicht kälte! –

Und ich streu euch inzwischen im buntesten wechsel

Steine und kräuter und erze: nun alles · nun nichts..

Bis sich verklebung der augen euch löst und ihr merket:

Zauber des Dings – und des Leibes · der göttlichen norm.

 

Lange zwar sträuben sich gegen die Freudige Botschaft

Grad eure klügsten · sie streichen die wallenden bärte ·

Zeigen mit fingern in stockige bücher und rufen:

>Feind unsres vaterlands · opfrer an falschem altar<…

Ach wenn die fülle der zeiten gekommen: dann werden

Wieder ein tausendjahr eurer Gebieter und Weisen

Nüchternste sinne und trotzigste nacken gefüge

Ärmlicher schar von verzückten landflüchtigen folgen

Sich bekehren zur wildesten wundergeschichte

Leibhaft das fleisch und das blut eines Mittlers genießen ·

Knieen im staube ein weiteres tausendjahr

Vor einem knaben den ihr zum gott erhebt.

 

Doch wohin lockst du und führst du, erhabenes Paar?..

Sind es die schatten der sehnsucht · lieblich und quälend? ..

Säulenhöfe seh ich mit bäumen und brunnen

Jugend und alter in gruppen bei werk und be musse

Maass neben stärke .. so weiss ich allein die gebärden

Attischer würde .. die süssen und kräftigen klänge

Eines äolischen mundes. Doch nein: ich erkenne

Söhne meines volkes – nein: ich vernehme

Sprache meines volkes. Mich blendet die freude.

Wunder hat sich erfüllt von marmor und rosen…

Welch ein schauer des ungebahnten erbebt?

Welch ein schimmer traf mich vom südlichen meer?

 

Stefan George, Aus der Sammlung Das neue Reich

kempis.nl poetry magazine

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