Sibylla SCHWARZ: Die Lieb ist blind, und gleichwohl kan sie sehen
Sibylla Schwarz
Die Lieb ist blind, und gleichwohl kan sie sehen
Die Lieb ist blind, und gleichwohl kan sie sehen,
hat ein Gesicht, und ist doch stahrenblind,
sie nennt sich groß, und ist ein kleines Kind,
ist wohl zu Fuß, und kan dannoch nicht gehen.
Doch diss muß man auff ander’ art verstehen:
sie kan nicht sehn, weil ihr Verstand zerrint,
und weil das Aug des Herzens ihr verschwindt,
so siht sie selbst nicht, was ihr ist geschehen.
Das, was sie liebt, hat keinen Mangel nicht,
wie wohl ihm mehr, als andern, offt gebricht.
Das, was sie liebt, kan ohn Gebrechen leben;
doch weil man hier ohn Fehler nichtes find,
so schließ ich fort: Die Lieb ist sehend blind:
sie siht selbst nicht, und kans Gesichte geben.
Sibylla Schwarz (1621 – 1638)
Gedicht: Die Lieb ist blind, und gleichwohl kan sie sehen
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