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Mathilde Wesendonck: 5 Lieder

poetry400

Mathilde Wesendonck

(1828 – 1902)

5 Lieder

Lied 1: Der Engel

In der Kindheit frühen Tagen
Hört ich oft von Engeln sagen,
Die des Himmels hehre Wonne
Tauschen mit der Erdensonne,

Daß, wo bang ein Herz in Sorgen
Schmachtet vor der Welt verborgen,
Daß, wo still es will verbluten,
Und vergehn in Tränenfluten,

Daß, wo brünstig sein Gebet
Einzig um Erlösung fleht,
Da der Engel niederschwebt,
Und es sanft gen Himmel hebt.

Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder,
Und auf leuchtendem Gefieder
Führt er, ferne jedem Schmerz,
Meinen Geist nun himmelwärts!


Lied 2: Stehe still!

Sausendes, brausendes Rad der Zeit,
Messer du der Ewigkeit;
Leuchtende Sphären im weiten All,
Die ihr umringt den Weltenball;
Urewige Schöpfung, halte doch ein,
Genug des Werdens, laß mich sein!

Halte an dich, zeugende Kraft,
Urgedanke, der ewig schafft!
Hemmet den Atem, stillet den Drang,
Schweiget nur eine Sekunde lang!
Schwellende Pulse, fesselt den Schlag;
Ende, des Wollens ew’ger Tag!
Daß in selig süßem Vergessen
Ich mög alle Wonnen ermessen!

Wenn Aug’ in Auge wonnig trinken,
Seele ganz in Seele versinken;
Wesen in Wesen sich wiederfindet,
Und alles Hoffens Ende sich kündet,
Die Lippe verstummt in staunendem Schweigen,
Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen:
Erkennt der Mensch des Ew’gen Spur,
Und löst dein Rätsel, heil’ge Natur!


Lied 3: Im Treibhaus

Hochgewölbte Blätterkronen,
Baldachine von Smaragd,
Kinder ihr aus fernen Zonen,
Saget mir, warum ihr klagt?

Schweigend neiget ihr die Zweige,
Malet Zeichen in die Luft,
Und der Leiden stummer Zeuge
Steiget aufwärts, süßer Duft.

Weit in sehnendem Verlangen
Breitet ihr die Arme aus,
Und umschlinget wahnbefangen
Öder Leere nicht’gen Graus.

Wohl, ich weiß es, arme Pflanze;
Ein Geschicke teilen wir,
Ob umstrahlt von Licht und Glanze,
Unsre Heimat ist nicht hier!

Und wie froh die Sonne scheidet
Von des Tages leerem Schein,
Hüllet der, der wahrhaft leidet,
Sich in Schweigens Dunkel ein.

Stille wird’s, ein säuselnd Weben
Füllet bang den dunklen Raum:
Schwere Tropfen seh ich schweben
An der Blätter grünem Saum.


Lied 4: Schmerzen

Sonne, weinest jeden Abend
Dir die schönen Augen rot,
Wenn im Meeresspiegel badend
Dich erreicht der frühe Tod;

Doch erstehst in alter Pracht,
Glorie der düstren Welt,
Du am Morgen neu erwacht,
Wie ein stolzer Siegesheld!

Ach, wie sollte ich da klagen,
Wie, mein Herz, so schwer dich sehn,
Muß die Sonne selbst verzagen,
Muß die Sonne untergehn?

Und gebieret Tod nur Leben,
Geben Schmerzen Wonne nur:
O wie dank ich, daß gegeben
Solche Schmerzen mir Natur!


Lied 5: Träume

Sag, welch wunderbare Träume
Halten meinen Sinn umfangen,
Daß sie nicht wie leere Schäume
Sind in ödes Nichts vergangen?

Träume, die in jeder Stunde,
Jedem Tage schöner blühn,
Und mit ihrer Himmelskunde
Selig durchs Gemüte ziehn!

Träume, die wie hehre Strahlen
In die Seele sich versenken,
Dort ein ewig Bild zu malen:
Allvergessen, Eingedenken!

Träume, wie wenn Frühlingssonne
Aus dem Schnee die Blüten küßt,
Daß zu nie geahnter Wonne
Sie der neue Tag begrüßt,

Daß sie wachsen, daß sie blühen,
Träumed spenden ihren Duft,
Sanft an deiner Brust verglühen,
Und dann sinken in die Gruft.

(1857-1858 Von Wagner komponiert)

Mathilde Wesendonck poetry

Poem of the week June 20, 2010

kempis poetry magazine

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