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Friedrich von Schiller: An Goethe

F r i e d r i c h   v o n   S c h i l l e r

(1759-1805)

 

A n   G o e t h e

(als er den Mahoment von Voltaire auf die Bühne brachte)

   Du selbst, der uns von falschem Regelzwange
Zur Wahrheit und Natur zurückgeführt,
Der, in der Wiege schon ein Held, die Schlange
Erstickt, die unsern Genius umschnürt,
Du, den die Kunst, die göttliche, schon lange
Mit ihrer reinen Priesterbinde ziert,
Du opferst auf zertrümmerten Altären
Der Aftermuse, die wir nicht mehr ehren?

   Einheim’scher Kunst ist dieser Schauplatz eigen,
Hier wird nicht fremden Götzen mehr gedient;
Wir können mutig einen Lorbeer zeigen,
Der auf dem deutschen Pindus selbst gegrünt.
Selbst in der Künste Heiligtum zu steigen,
Hat sich der deutsche Genius erkühnt,
Und auf der Spur des Griechen und des Britten
Ist er dem bessern Ruhme nachgeschritten.

   Denn dort, wo Sklaven knien, Despoten walten,
Wo sich die eitle Aftergröße bläht,
Da kann die Kunst das Edle nicht gestalten,
Von keinem Ludwig wird es ausgesät;
Aus eigner Fülle muss es sich entfalten,
Es borget nicht von ird’scher Majestät,
Nur mit der Wahrheit wird er sich vermählen,
Und seine Glut durchflammt nur freie Seelen.

   Drum nicht, in alte Fesseln uns zu schlagen,
Erneuerst du dies Spiel der alten Zeit,
Nicht, uns zurückzuführen zu den Tagen
Charakterloser Minderjährigkeit.
Es wär’ ein eitel und vergeblich Wagen
Zu fallen ins bewegte Rad der Zeit;
Geflügelt fort entführen es die Stunden;
Das Neue kommt, das Alte ist verschwunden.

   Erweitert jetzt ist des Theaters Enge,
In seinem Raume drängt sich eine Welt;
Nicht mehr der Worte rednerisch Gepränge,
Nur der Natur getreues Bild gefällt;
Verbannet ist der Sitten falsche Strenge,
Und menschlich handelt, menschlich fühlt der Held.
Die Leidenschaft erhebt die freien Töne,
Und in der Wahrheit findet man das Schöne.

   Doch leicht gezimmert nur ist Thespis Wagen,
Und er ist gleich dem acheront’schen Kahn;
Nur Schatten und Idole kann er tragen,
Und drängt das rohe Leben sich heran,
So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen,
Das nur die flücht’gen Geister fassen kann.
Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen,
Und siegt Natur, so muss die Kunst entweichen.

   Denn auf dem bretternen Gerüst der Szene
Wird eine Idealwelt aufgetan.
Nichts sei hier wahr und wirklich, als die Träne,
Die Rührung ruht auf keinem Sinnenwahn.
Aufrichtig ist die wahre Melpomene,
Sie kündigt nichts als eine Fabel an,
Und weiß durch tiefe Wahrheit zu entzücken;
Die falsche stellt sich wahr, um zu berücken.

   Es droht die Kunst vom Schauplatz zu verschwinden,
Ihr wildes Reich behauptet Phantasie;
Die Bühne will sie wie die Welt entzünden,
Das Niedrigste und Höchste menget sie.
Nur bei dem Franken war noch Kunst zu finden,
Erschwang er gleich ihr hohes Urbild nie:
Gebannt in unveränderlichen Schranken
Hält er sie fest, und nimmer darf sie wanken.

   Ein heiliger Bezirk ist ihm die Szene;
Verbannt aus ihrem festlichen Gebiet
Sind der Natur nachlässig rohe Töne,
Die Sprache selbst erhebt sich ihm zum Lied:
Es ist ein Reich des Wohllauts und der Schöne.
In edler Ordnung greifet Glied in Glied,
Zum ernsten Tempel füget sich das Ganze,
Und die Bewegung borget Reiz vom Tanze,
Nicht Muster zwar darf uns der Franke werden,
Aus seiner Kunst spricht kein lebend’ger Geist;
Des falschen Anstands prunkende Gebärden
Verschmäht der Sinn, der nur das Wahre preist!
Ein Führer nur zum Bessern soll er werden,
Er komme, wie ein abgeschiedner Geist,
Zu reinigen die oft entweihte Szene
Zum würd’gen Sitz der alten Melpomene.

 

Friedrich von Schiller Gedichte

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